Kolumne: Ich verstehe keine Kunst

26. November 2018 von in

In Berlin gibt es drei Dinge im Übermaß: Einkaufszentren, Spätis und Performance Kunst – kurz zusammengefasst ESP. Über eines dieser Dinge stolpert man hier früher oder später immer. Wer spontan das Bedürfnis nach neuen Socken verspürt, wird nur wenige Straßen weiter einen Weekday finden, so viel ist sicher. Auch der dritte ESP-Part, die Performance Kunst, legt sich wie Stolpersteine auf den schlecht gepflasterten Radweg und hält am laufenden Band auf. Zumindest, wenn es nach mir geht: Ich verstehe nämlich keine Kunst. Und seit ich in Berlin wohne, wird es immer schwerer, diesen Fakt zu vertuschen, da ich, wie bereits erwähnt, andauernd ungewollt in Kunst Perfomances hineinradle, mit wohlwissenden Freunden und Bekannten stehen bleibe, und sie mir für ganz, ganz lange Zeit (gefühlt) ansehe.

Ich fühle mich bei dem Besuch von Kunst Performances, modernen Theaterstücken oder „Openings“ wie man sie neuerdings nennt, meist, als wäre ich wieder in meinem achten Lebensjahr angelangt. Ich lasse mich am Rockzipfel meiner Begleitung durch den Raum schlurfen, habe wenig zu den Gesprächen beizutragen und möchte eigentlich die ganze Zeit nur nach Hause. Während einer Performance muss man ja glücklicherweise nicht sprechen, man darf sich dem Spektakel einfach nur hingeben: Drei Menschen, die regungslos seit über einer Stunde in unterschiedliche Richtungen starren und gelegentlich dinosaurierartige Geräusche von sich geben oder auch eine junge Frau, die sich seit über fünfzehn Minuten über einen weißen Boden rollt und sich gleichzeitig mit schwarzer Farbe bekleckern lässt. Was das genau soll, ist mir ein Rätsel und ich beobachte das umstehende Publikum, das sein Augenmerk gebannt auf die skurrilen Protagonisten richtet und frage mich, ob ich die Einzige hier im Raum bin, die nicht den leisesten Schimmer hat.

„Was das genau soll, ist mir ein Rätsel und ich beobachte das umstehende Publikum, das sein Augenmerk gebannt auf die skurrilen Protagonisten richtet und frage mich, ob ich die Einzige hier im Raum bin, die nicht den leisesten Schimmer hat.“

Ich schweife mit den Gedanken ab, da sie sich sowieso nicht mit dem Gesehenen verknüpfen lassen und frage mich, ob ich gerade auffalle. Die in mir aufkommende Panik, ich könnte mit meinem Unwissen auffliegen, unterdrücke ich mit dem beruhigen Gedanken, dass alles in Ordnung ist. Schließlich trage ich meine Baskenmütze und jeder Mensch weiß, dass das ein Indiz für Kunstbewanderte ist.

Die Performance ist irgendwann zu Ende und man darf wieder sprechen. Der perfekte Moment für mich, „mal kurz die Toilette zu suchen“, um anschließende Interpretationen über das Gesehene zu vermeiden. Einmal gab es keine Toilette, weil die Performance in einer Art Schaukasten stattfand und das Publikum auf der anderen Seite der Glaswand, also der Straße, stand. Ohne Fluchtausweg eröffnete ich panisch das Gespräch aus Angst vor der unangenehmen Stille. Unwissenheit und unangenehme Stille sind zwei Dinge, die sich nicht vertragen: „Haha, das war lustig, irgendwie wie Queen oder so!“, warf ich fröhlich in die Runde und wurde daraufhin aus Höflichkeit ignoriert. Anschließend widmete ich mich wieder meiner Rolle, in der ich mich am wohlsten fühlte: „Ich würde noch einmal zur Bar gehen, braucht noch jemand was?“, denn da, liebe Freunde, findet man eigentlich immer Zuspruch.

„Schließlich trage ich meine Baskenmütze und jeder Mensch weiß, dass das ein Indiz für Kunstbewanderte ist.“

Es gibt zwei Arten von Kunst, mit denen ich etwas anfangen kann: Kunst, die für jeden Laien verständlich ist und bestenfalls politisch und/oder gesellschaftskritisch ist, und Kunst, die ich mir in meine Wohnung hängen oder stellen würde. Man kann sich also das Desaster vorstellen, wenn ich versuche, einen zusammen geklebten Haufen von Eierpappe zu analysieren. Meine Emotionen halten sich bei diesem Gebilde in Grenzen und jene Pappkartons koppeln sich nicht mit sentimentalen Erinnerungen an dieses eine prägende Frühstück meiner Kindheit oder so.

Doch irgendwie hat er auch etwas, der Reiz des absoluten Unwissen und die Panik, die Benimmregeln in einer mir fremden Szene zu erforschen. Es ist wie in der Kulinarik: Ich ess gerne gut und viel, ich trinke gerne Wein, doch in einem gehobenen Spitzenrestaurant fühle ich mich wie ein kleines Kind das konzentriert versucht, keinen Fehler zu begehen. Das Schwenken des Weines, wenn ich ihn auf seinen „Kork-Grad“ testen soll, bevor ich mich für ihn entscheide, beherrsche ich oberflächlich souverän, obwohl ich innerlich nicht einmal weiß, wie der Name jenes Weines überhaupt auszusprechen ist, geschweige denn ob er mir wirklich schmeckt oder korkt. Wie schmeckt überhaupt ein Wein der korkt? Mir schmeck jeder Wein, denn ich habe keine Ahnung von Wein.

Wer die Benimmregeln auswendig gelernt hat, wird aber mit seiner Andersartigkeit nicht auffliegen, genau so wie in der Kunst. Der Unterschied ist dort nur, dass ich die Regeln nicht kenne. Ich halte mich dort lieber stets verdeckt im Hintergrund und beäuge durchaus interessiert, wenn auch unwissend, das Geschehen. Denn mir gefällt es ja irgendwie auch, denn ich habe keine Ahnung davon. Wie beim Wein.

 

 

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10 Antworten zu “Kolumne: Ich verstehe keine Kunst”

  1. Auch bei Performance-Kunst gibt es wie bei jedem anderen Genre prätentiösen Mist, Mittelmaß, Gutes und Geniales. Zu letzterem würde ich Marina Abramovic zählen. Vielleicht kennst Du sie (wenn nicht – recherchier mal, die hat immer wieder tolle Projekte). Ansonsten gilt bei Kunst immer: sich informieren, sich drauf einlassen und ob es am Ende gefällt oder nicht, ist schlichtweg Geschmacksfrage. Da kann einem auch keiner dreinreden. Also nicht einschüchtern lassen, sondern einfach neugierig gucken!
    Liebe Grüße, Katharina

    • Wow. Abramovich als genial Stufen auch nur Leute ein, die Dali als Lieblingskünstler angeben, von Picasso nur die Rosa Periode kennen und Banksy feiern. Dann doch lieber offen dazu stehen und sagen, dass man keine Ahnung hat. Ist wirklich nichts dabei. Ich hab null Ahnung von Quantenphysik oder Tour de France Regel. Oder Bauhaus.

      • Ich habe den Eindruck dein Kommentar ist herablassend. Das finde ich schade. Wenn Leute sich nur wenig mit Kunst beschäftigen (können – ist ja leider mal wieder sozio-ökonomisch, ob zB deine Eltern dich ins Museum bringen (können)) und dann aber mal ein Gemälde von Dali sehen (das vielleicht für dich nicht genial ist) und sie dadurch einen ganz neuen, anregenden Gedanken finden ist das doch was tolles. Da ist dann der Punkt anzusetzen, dass man sie noch weiter begeistert für Kunst (und sei es „nur“ für die Rose Periode von Picasso). Einerseits für die individuelle Weiterbildung als auch für eine inklusivere Gesellschaft. Auch wenn manchmal das Endergebnis ein Amelie’sches „verstehe ich nicht“ ist – auch ok. Und es werden sich sicherlich weltweit genauso viele studierte Kunstkritiker finden die Abramovich genial oder genau das gegenteil davon finden. Das ist aber auch nie der Punkt einer solchen Diskussion sondern die Diskussion WARUM ihre Aktionen genial sind oder nicht ist wichtig. Es wird nie ein eindeutiges Ergebnis dazu geben – außer, dass Kommentare wie deiner eine Auseinandersetzung im Keim ersticken. (Falls du das noch liest) kannst du mir gerne darlegen warum du sie nicht genial findest und ich antworte gerne was ich genial (als auch nicht genial) an ihren Kunstaktionen finde.

      • Liebe Paula,
        leider ist dein Kommentar, wie schon von anderer Seite geschrieben, sehr herablassend und arrogant. Du bist so ueberzeugt von deiner Meinung als Tatsache, dass du nicht einmal mehr darlegen moechtest, warum sie (in deinen Augen, wir sprechen hier halt doch immer noch von Meinung) nicht genial ist. Vielleicht moechtest du das ja noch nachholen, damit wir Unwissenden endlich verstehen, was an unserer Meinung zu Marina Abramovic so falsch ist.
        Liebe Gruesse
        eine, die scheinbar weder etwas von Quantenphysik, noch von Kunst versteht

      • Huiuiui Paula,
        da hat sich aber einiges an Aggression aufgestaut? Schade, dass sie bei mir ein Ventil finden muss. Wie ich in meinem Kommentar schon geschrieben habe, ist bei Kunst ein offener Blick die erste Voraussetzung und das eigene Gefühl völlig berechtigt, auch wenn es mal nicht dem allgemeinen Trend entspricht. Insofern hast Du natürlich auch das absolute Recht, Abramovic nicht zu mögen. Ihr deshalb ihre Leistung abzuerkennen, find ich allerdings gewagt. Ich würde nicht wagen, das Aug so allgemeingültige Art und Weise zu äußern. Aber was weiß ich schon, ich gehe ja dank kunstinteressierte Eltern nur schon mein Leben lang in Museen, interessiere mich aktiv vor allem für Gegenwartskunst, male seit meiner Kindheit und ernte mit meinen Werken freundlicherweise positive Kritik.
        Aber Schwamm drüber, lassen wir doh jedem seinen Geschmack in Sachen Kunst und freuen wir uns einfach über alle, die sich dafür interessieren.

  2. Sehr hilfreich und erleuchtend finde ich diesen Artikel ( https://www.nzz.ch/feuilleton/so-viel-schlechte-kunst-ld.1392254 ) der mich hat erkennen lassen, dass es trotz allem „über Kunst kann man nicht streiten“-Gelaber schon ein paar ganz grobe Eckpunkte gibt, über die ich Kunst bewerten kann.
    Es ist manchmal sehr beruhigend zu wissen, dass man das eben gesehene auch einfach scheiße finden kann, nicht nur, weil man eben kein Kenner ist, sondern auch, weil es vielleicht schlicht und einfach schlecht ist. Sehr schöner Artikel dazu!

    • Klar gibt’s schlechte Kunst. Jede Menge sogar! Der von Dir verlinkte Artikel ist wirklich eine ganz gute „Anleitung“. Allerdings muss man wiederum viel gesehen haben, um die Faktoren leicht erkennen zu können. Und dann denke ich, wenn mittelmäßige oder gar nicht gute Kunst jemandem Freude macht, hat sie auch wieder ihre individuelle Berechtigung.

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