Kolumne: Wer schön sein will, muss leiten

3. August 2014 von in

Antonia hat, ohne vor Ort zu sein, die Fashion Week dank Instagram mehr oder weniger live miterlebt. Einmal MBFWB eingegeben oder den Namen des Designers und schon finden sich in ihrem Feed alle Schnappschüsse der Besucher, die ihre Modewoche mittlerweile vielmehr durch den Handybildschirm als durch die Sonnenbrille erleben. Bevor ich in den Urlaub fliege oder einen Städtetrip plane, sehe ich mir den Hashtag der jeweiligen Stadt an und mache mir mein erstes Bild. Eine Stadtführung von Londonern, Kopenhagenern oder Touristen, ohne auch nur einen Cent gezahlt zu haben. Danke Instagram. Instagram hat es geschafft, das Leben vieler Nutzer in ein riesiges Archiv voller Hashtags einzuteilen. Besonders bekannte Instagramer geben sich einen ganz eigenen Hashtag. Jeder, der einen eigenen Hashtag besitzt und dieser auch noch tatsächlich von anderen durchgescrollt wird, hat es geschafft.

Da die Onlinewelt durch Instagram auf Turbospeed geschalten ist und die Leute gar nicht mehr hinterher kommen mit ihren Selfies, sind auch die Designer sowie Onlineshops auf Fashion Weeks & Co. unter Druck. Produzieren, produzieren, produzieren und sofort hoch damit! Wer im Juli nicht schon die Ware für den Winter hat, ist hintendran. Der Sommersale beginnt im Mai.

„Wer mit Mode nicht viel am Hut hat, ahnt ja gar nicht, wie viele Posts die neue Trio-Bag von Céline auslöst oder wie viele Minuten im Büro dabei draufgehen, mal schnell zu schauen, was es Neues beim Luxusanbieter Net-a-porter oder dem angesagten Internet-Versandhaus Asos gibt. Oder wie viele Hunderttausend Kleiderpakete Tag für Tag um die Welt geschickt werden.“ (SZ)

Jede Saison gibt es tausende neue IT-Pieces. Beispielsweise die neuen (!) Schlappen, nach den Pelzteilen, von Céline. Eigentlich absolut nicht erstrebenswert, diese hässlichen Dinger zu besitzen, für ein unmenschliches Geld. Aber wer sie hat, gewinnt. Also fangen wir an, wie die Wahnsinnigen auf Pinterest zu pinnen, weil wir es uns schlichtweg nicht leisten können, jedes verdammte Hype-Teil oder jedes Lieblingsstück aus der neuesten Isabel Marant Kollektion, oder vielleicht sogar schon der danach, zu kaufen. Und wie der Beitrag „Die neue Generation konsumiert nicht, sie sammelt“ aus der SZ erklärt: Wir erstellen uns Wunschlisten auf ASOS oder MyTheresa und befriedigen damit unser Konsumgefühl, das wir einst hatten, als wir auf „kaufen“ klickten.

Wir zeigen unseren Traum-Stil nicht mehr auf den Straßen, in Clubs oder in Cafés – wir zeigen ihn auf Instagram, wir zeigen ihn auf Pinterest, auf Tumblr (soll ja Leute geben, die das noch benutzen) und unsere Wortgewandtheit und den Humor präsentieren wir auf Twitter und Facebook. Wir erschaffen uns einen medialen Stil, der nahezu unmöglich in der Realität umzusetzen ist.

Kolumne-Wer-schoen-sein-will

Man erreicht schließlich so viel mehr Menschen auf Onlineportalen als im wahren Leben – hallo, jugendliche Effizienzgesellschaft! Während mein Pinteresfeed gefüllt ist mit Designerteilen und täglich neue dazu kommen, kratze ich mein letztes Geld für eine stark reduzierte Sonnenbrille von Acne aus meinem Geldbeutel. Frauen in wunderschönen Outfits komplettieren meinen Account, die aussehen, wie tausend andere Mädchen auch gerne aussehen möchten. Wir pinnen und liken aufwändiges, unglaublich schmackhaft aussehendes Essen, da wir das Geld und die Zeit nicht haben,  mit dem Internet mitzuhalten und es selbst zu kochen. Und wenn wir es doch mal geschafft haben – raus mit dem Foto! Selfmade, Bitches!

Wir möchten uns gegenseitig mit wunderschön cleanen Instagramfotos inspirieren. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber die Inspiration darf uns nicht beirren. Zwischen all den perfekten Boards voll von schönen Bildern erschaffen wir uns schnell ein unerreichbares Ziel für die Wohnung, unseren Körpern, unserem Essen und unseren Klamotten. Zurück bleibt ein heulender pubertierender Teenager, der so cool sein möchte wie Britney Spears, Sporty Spice oder Christina Aguilera. Wichtig ist, reflektiert zu bleiben, in dem Konsumstrudel nicht unterzugehen und die Inspirationsfläche als solche anzuerkennen. Die Inspiration ist essenziell, sie ist der Motor der Mode.

Bei dem ganzen Gezanke um den eigenen, individuellen Look, der immer in ein Utopia schielt und nie vollendet ist, bleibt eine Gewissheit: Du bist nicht die Einzige. Wir alle versuchen mit aller Kraft gegen den Strom zu rudern, bis von außen nicht mehr ersichtlich ist in welche Richtung das Wasser eigentlich fließt.

Und mit dem gleichen Wasser kochen wir schließlich alle.

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15 Antworten zu “Kolumne: Wer schön sein will, muss leiten”

  1. Inspirierender Text! Ich merke auch oft, dass ich aufpassen muss, meine eigene Realität nicht an schön inszenierte Bilder von woher-auch-immer zu knüpfen. Ich werd den Text trotzdem gleich mal pinnen ;-) Allein um ihn nicht zu vergessen.

  2. Es ist sehr schön zu sehen, dass bei euch so ein reflektierter Umgang mit Mode und Konsum zum Thema wird.
    Ich frage mich nur, was Reflexion alleine daran ändert, dass wir mittlerweile – weil wir uns all diese Wunschträume schlichtweg nicht leisten können – schon stellvertretend präsentieren. „Ich bin zwar eigentlich armer Student, aber ihr müsst wissen, hätte ich Möglichkeit dazu wäre ich auch ein It-Girl, ein Modeblogger oder irgendein anderes hohes Tier in dem Mode- und Konsumzirkus. Ganz bestimmt.“ Das Problem bei schönen Dingen ist eben, dass sie blenden. Und so sehr uns diese Blendung manipuliert berührt, desto versuchen wir selbst zu blenden, uns zu inszenieren um so auszusehen wie XY.
    Ich sehe mich da auch nicht als Ausnahme, mein Instgramfeed ist genauso voll von Bildern meines Frühstückstisches, auf dem Blumenvase und Salzstreuer zentimetergenau hingerückt wurden, damit die Bildkomposition stimmt. Repräsentiativer wäre aber der Aschenbecher auf meinem Bett neben mir, während ich mit dem Macbook auf dem Schoß und Chipskrümel im Haar diesen Kommentar hier tippe. Und in meinem Browser natürlich noch mindestens zwei Online-Shops geöffnet sind. Klar ist Mode oberflächlich, klar ist sie wundervoll. Sie lebt ja von der Selbstinzenierung, nicht nur des Einzelnen. Mode war schon immer ein Repräsentant der Zeit und ihrer Gesellschaft aber in den letzten Jahren auch immer mehr ein Spiel. Ein Spiel mit Statussymbolen, Klischees und Trends. Unterwandert von subtiler Kritik, von Fortschritten und von Emanzipation beider Geschlechter. Aber eben vor allem immer ein Spiel.
    Das zu wissen und zu schreiben wie ihr das tut ist so, so richtig. Es ist vollkommen okay, Mode und Design zu lieben und sich damit intensiv beschäftigen, weil sich dabei doch als gehaltvoll zeigen kann. Aber es geht eben meistens um Produkte mit schönen Oberflächen, die auf schönen Plattformen schön präsentiert werden. Vielleicht schafft es ja unsere Instagramgeneration auch bald diesen artifiziellen Online-Lebensraum weniger wichtig zu nehmen. Lieber ein gutes Buch zu lesen, gute Musik zu hören über die man am nächsten Tag gute Gespräche führen kann. Denn das sind Dinge, die auch Spaß, die eine Person bereichern und die man nicht mit Photoshop oder einem Vintagefilter aufhübschen kann, um damit anzugeben.

    Liebst,
    Katharine

    • wow, eigentlich wollte ich gerade kommentieren, dass das der beste artikel ist, den ich in letzter zeit gelesen habe. aber dein kommentar hat ihn dann fast nochmal übertroffen :D

      ich hab mich glücklicherweise vor einiger zeit aus dem instagram-twitter-wasweißich-zirkus rausgeschlichen und mit pinterest gar nicht erst öffentlich angefangen. nur inspirationsbilder, die ich vorher in ordnern auf dem pc gespeichert habe, habe ich da hochgeladen, damit ich es übersichtlicher habe. und dann ganz schnell gemerkt, wie man sich da verlieren kann, wenn man es doch mal auf andere art und weise (also die eigentliche) nutzt.

      ich bin deswegen vielleicht schlechter vernetzt, als andere blogger.. aber dafür habe ich die zeit, kommentare wie diesen zu schreiben, statt nur schnell ein like oder ein herz oder was es nicht alles gibt, hinzurotzen. und das finde ich ganz gut.

  3. Wie Recht ihr habt. Ich erwische mich nicht selten dabei, stundenlang durch irgendwelche Feeds (Favorit: Instagram) zu scrollen und meine Zeit damit zu verschwenden, andere um ihr ach-so-schönes Frühstück und ihre makellosen Selfies zu beneiden. Dass dahinter aber viel Arbeit und etliche Filter stecken, vergisst man ganz schnell. Anstatt das großartige Frühstück einfach zu genießen, wird alles haargenau zurechtgerückt – für einen Schnappschuss, den sich niemand länger als 2 Sekunden anschaut.
    Ich habe vor Kurzem tatsächlich ein Gespräch mit meinem Freund über genau dieses Thema geführt, weil ich angefangen habe, mich mit anderen zu vergleichen. Das macht einen nur unglücklich und unzufrieden mit sich selbst und dem, was man hat und wertschätzen sollte.

    Macht weiter so! :)

  4. Sehr guter Artikel! Denke dass gerade dieses ästhetische Schulen, das ständige pinnen auf Pinterest etc. insofern etwas Positives haben, als dass man bewusster einkauft. Bei mir ist das zumindest so, auch seit ich blogge und mich mit Blogs befasse.
    – Cécile

    now-then-forever.blogspot.com

  5. Sehr wahre Worte! Eure Kolumnen treffen den Nagel immer wieder auf den Kopf.
    Macht weiter damit, Dinge anzusprechen, die die meisten zwar wahrscheinlich auch denken, sich aber nicht trauen, sie anzusprechen.

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