Kolumne: Was uns wirklich glücklich macht

16. November 2022 von in
– aus dem Archiv: dieser Artikel erschien zuerst am 5. November 2020 –

Was macht Menschen glücklich? Diese Frage ist definitiv zu groß, als dass ich sie in diesem Artikel beantworten könnte. Dennoch ist es gerade jetzt – wo uns zum zweiten Mal in diesem Jahr die Isolation bevorsteht – ein guter Zeitpunkt, sich diese Gedanken zu machen. Hier kommt also mein Vorschlag für eine Antwort auf die Frage aller Fragen. Und eine Idee, wie die zweite Welle vielleicht ein bisschen angenehmer wird.

Bekanntlich merkt man ja erst, wie glücklich einen etwas macht, wenn es nicht mehr da ist – es gibt sehr viele Radiosongs zu diesem Thema.

Und dieses Jahr sind uns viele Dinge verwehrt geblieben, die uns sonst ganz selbstverständlich vorkamen: Parties, Konzerte, Kneipenabende, Theater, Festivals und Familienfeiern. Dass zum Beispiel Konzerte für mich so ein wichtiger Endorphinlieferant waren, war mir vor der Pandemie nicht so bewusst wie heute. Ich würde wirklich vieles tun, nur um endlich wieder einen schweißigen Rücken in einem Moshpit ins Gesicht geklatscht zu bekommen. Andere würden töten, um endlich wieder im Takt zu schranzigem Techno auf der Stelle tippeln zu können. Und wieder andere trinken mit ihren Freund*innen über Zoom Aperol Spritz und denken jedes Mal bei sich „Das ist einfach nicht dasselbe.“

Und dann gibt es noch die, denen die Isolation eigentlich gar nichts ausmacht. Sie gehen zu Hause selig ihren Lieblingsbeschäftigungen nach und haben eigentlich noch nie die Gesellschaft anderer Menschen gebraucht, um glückliche Momente zu erleben. Diese Menschen berichten während der Ausgangssperre sogar von einem angenehmen Ausbleiben von FOMO: Sie können endlich schamlos zu Hause bleiben, so lange sie wollen – und werden dafür sogar noch als Held*innen gefeiert.

Die Frage nach Momenten des Glücks scheint also eine extrem individuelle zu sein. Bei jeder Person stellen sich diese Augenblicke in ganz unterschiedlichen Situationen ein. Aber das Gefühl ist dennoch irgendwie immer gleich. Meine Lieblingsdefinition beschreibt es als „Momente, in denen der Draht zur Welt zu vibrieren und das Weltverhältnis zu atmen beginnt“. Diese Definition stammt vom Soziologen Hartmut Rosa und beschreibt das, was er Resonanz nennt. Damit meint er – vereinfacht gesagt – das Gefühl, sich mit der Welt verbunden und in ihr aufgehoben zu fühlen, statt in sie hineingeworfen und ihr ausgesetzt zu sein. Glücklichsein hat seiner Meinung nach also vor allem mit unserer Beziehung zur Welt um uns herum zu tun – mit der Qualität von unserem Weltverhältnis. Und mit der Frage, wie gut wir in der Lage sind, solche Momente herbeizuführen, in denen wir Resonanz erleben. In denen wir in Verbindung treten mit Dingen, Aufgaben, Menschen, Räumen oder Ideen, die uns mit der Welt verbinden.

Diese Definition von Glück ist sehr weit von der Version entfernt, die uns täglich vermittelt wird. Unsere Gesellschaft versteht Glück nämlich viel mehr als das Ergebnis von einer Anhäufung von Ressourcen. Besserer Job, besseres Einkommen, besser aussehen, gesünder werden, einen perfekten Partner finden, perfektere Beziehungen führen. Schneller, höher, weiter.

Glück wird als das Resultat von Optimierung verstanden: Wenn ich erst diese eine Sache besitze oder erreicht habe, dann werde ich endlich glücklich sein.

Aber so funktioniert das nicht; und das ist keine neue Info. Wir wissen beispielsweise schon länger: Reichtum macht nicht glücklich. Es ist inzwischen sogar wissenschaftlich erwiesen, dass es im Gegenteil sogar unglücklich macht, wenn man nach immer mehr Reichtum strebt: Ein materialistischer Lifestyle führt zu Unzufriedenheit. Sehr wenig Geld zu haben macht jedoch ebenso unglücklich, denn es ist eine enorme Belastung und verhindert, dass Grundbedürfnisse befriedigt werden können. Heißt also: Bis zu einem gewissen Punkt macht ein steigendes Einkommen tatsächlich glücklicher – aber reich sein hilft trotzdem nicht auf der Suche nach echter Zufriedenheit.

 

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Dieses Missverständnis bringt uns unter anderem dazu, die Idee von einem „einfachen Leben“ zu romantisieren: Eine Hütte auf dem Land, ein paar Tiere, ein Garten. Und weniger Social Media – klar. Wer davon träumt, der nennt es „Entschleunigung“, aber meint eigentlich mehr Resonanz: Ein Leben, in dem man mit sich und der Welt im Reinen und in Verbindung ist – und in dem man frei ist vom Steigerungszwang. Denn der steht dem Erlebnis von einer Art Weltverbindung eigentlich nur im Wege: Wer ständig optimiert, der rennt einem Ziel nach, das es nicht gibt. Und während ein Garten, ein Haus und ein Hund natürlich durchaus glücklicher machen können, ist auch das nie allein die Lösung.

Dabei haben wir die Werkzeuge eigentlich längst an der Hand: Denn wir alle wissen doch eigentlich, in welchen Augenblicken wir uns wirklich bei uns fühlen. Was uns davon abhält, ist die Angst, abgehängt zu werden – und der Druck, weiter Ressourcen anzuhäufen: Besitz, Anerkennung, Wissen, Sicherheit. Und das alles in einer immer unsicherer und gefährlicher werdenden Welt, die jeden Tag auf neue Arten gruseliger wird.

In diesem Strudel ist es schwer, für einen Moment innezuhalten und sich zu fragen:
Was hilft mir eigentlich, mich aufgehoben zu fühlen in der Welt?

Es wäre also vermutlich auf der Suche nach glücklichen Momenten sehr viel zielführender, wenn wir alle mehr nach diesem Moment der Verbindung streben würden – und nicht versuchen würden, uns das Glück mithilfe von To-Do-Listen und Fünf-Jahres-Plänen herbei zu optimieren. Und ich glaube, dass wir eigentlich alle sehr genau wissen, was wir tun müssen, um diesen vibrierenden Draht zur Welt zu aktivieren. Dabei ist diese Form von Verbindung nicht zwingend das Gegenteil von Isolation. Auch in Zeiten von Social Distancing kann man sich mit der Welt verbinden. Das funktioniert bei jedem Menschen ein bisschen anders. Bei mir sind es zum Beispiel alte Filme, Fotografieren, Moshpits und Musik, die ich mit 15 toll fand. Für dich ist es vielleicht Zeichnen, Waldspaziergänge, Schlagzeugspielen, Kuchenbacken, Karate oder Lana del Rey. Es ist in jedem Fall ein guter Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen.

Denn während jetzt wieder viele Aktivitäten unmöglich werden, die uns mit der Welt verbinden, droht uns eine neue Phase der Resonanzarmut. Und das macht wirklich unglücklich.

Das alles ist keine Patentlösung für ein glückliches Leben – wenn es sowas überhaupt gibt. Aber es ist eine Sichtweise, die mir geholfen hat, ein bisschen aus dem Strudel auszusteigen und meine Prioritäten ein bisschen anzupassen. Für glückliche Augenblicke braucht zwar jeder Mensch etwas anderes, aber niemand wirklich viel. Oft sind es Dinge, sie uns schon als Kinder glücklich gemacht haben. Diese Dinge immer wieder neu zu entdecken kann uns nicht nur schwierige Zeiten wie diese schöner machen, sondern unser ganzes Leben.

Bildcredits: Unsplash

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3 Antworten zu “Kolumne: Was uns wirklich glücklich macht”

  1. Vielen Dank für Ihre Ideen. Wir konnten ein paar interessante Gedanken für uns selber darin finden. Selbst wenn es das Leben gut mit uns meint, es unserem Umfeld und auch uns selbst gut geht, freuen wir uns im Leben immer über eine extra Prise Glück. „Vivre la vie“ gehört in Frankreich zur Lebensmaxime, bei uns Deutschen bleibt davon ein trockenes „Lebe dein Leben“. Es fehlt das Triumphierende der Sprache, der Aufschrei des Lebens, des Glücks für möglichst lange Momente. Vor unserem geistigen Auge assoziieren wir damit häufig, wie die Jugend in ihrer Unbeschwertheit auf die Dinge zuzugeht, völlig unbekümmert in einem Bewusstsein, dass es das Leben nur gut mit einem meinen kann. Es ist nicht schwer, Dinge zu finden, die einen glücklich machen. Der warme Frühlingswind, die Brise am Meer, das fröhliche abendliche Zusammensein. Auf die innere Haltung kommt es an und im französichen Vivre la vie schwingt etwas wie „Umarme das Leben“, halte es fest, mit allen Sinnen, lebe glücklich. Mit zunehmenden Alter bleibt es die Kunst des Lebens, jene Dinge festzuhalten, die uns glücklich machen. Uns eine gute Portion Unbeschwertheit und Jugend zu bewahren, selbst wenn sich die ersten kleinen Fältchen ins Gesicht graben. Lachfalten machen nicht alt, sie halten jung.Das Leben bleibt uns als Chance und Herausforderung auf der Suche nach Dingen, die uns glücklich machen, uns positiv einstimmen. Seien wir nicht allzu streng mit uns selbst. Halten wir das Glück fest, wenn es uns gefunden hat und lernen wir für unser Leben daraus. Glück schenkt uns Lebensfreude und Lebensmut, lässt uns auch manche schwierige Situation überstehen. Mit Optimismus und neuer Kraft sind wir fähig das Leben zu greifen und die Dinge hin zum Positive zu bewegen. Auf den Weg dorthin müssen wir die großen und kleinen Momente des Glücks pflegen wie eine zarte Pflanze im Garten. Den Boden bereiten, ihm die Nährstoffe zuführen und gelegentliches Gießen, vor allem wenn wir in der Hitze des Alltags zeitweise vergessen an uns zu denken, an unser ganz persönliches Glück.

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