Kolumne: Eine Ode an den Winterschlaf

29. November 2016 von in

„Ich habe durchgeschlafen, von gestern 17 Uhr bis heute morgen um 8.“ Was zu allen anderen Zeiten im Jahr für Verwirrung sorgen würde, vielleicht auch für Mitleid, zumindest aber auf jeden Fall für fomo, ringt mir aktuell Beifallbekundungen ab, begleitet von einer kleinen Portion Neid.

Ja, die Winterschlafsaison ist angebrochen, und während die Autoscheinwerfer selbst mittags durch die diesige Luft leuchten, frage ich mich, wieso wir uns diesen ganzen Stress überhaupt antun und uns nicht einfach darauf einlassen. Frieren? Arbeiten? Vorweihnachtsstress?

Bären tun es, Igel, Fledermäuse und Hamster auch sowie diverse weitere Säugetiere, warum also nicht auch wir? Der Winterschlaf hat schließlich einige Vorteile. Heizkosten waren gestern, denn die Körpertemperatur ist ab sofort dieselbe wie die Luft im Freien, mehr braucht niemand. Genausowenig Geld braucht man währenddessen für Essen, Detox ist nichts dagegen, und die während des Sommers angefressenen Fettdepots werden obendrein noch aufgebraucht. No sugar, no shopping, no carbs? Im Winterschlaf enthält man sich gleich allem zusammen. Erstmal wieder im Frühling aufgewacht, hat man also schon so viel Enthaltsamkeit abgeleistet, dass ein paar entspannte Monate folgen dürften.

Leider ist es nun mal aber ja nicht so einfach, und selbst wenn es eine ziemlich gute Idee wäre, kommen uns allein schon biologisch gesehen einige Faktoren in die Quere. Trotzdem plädiere ich an eine Anerkennung der Winterschlafsaison und ein allgemeines Runterfahren. Der Lifestyleerwartungen zum Beispiel. Im Sommer hat man schließlich genug davon, jeder späte Sonnenuntergang lockt nach draußen, überall warten Events, Sundowner und weitere Dinge, die man nicht verpassen soll. Und wer etwas auf sich hält, kostet ihn aus, diesen Sommer, der schließlich schneller vorbei ist, als wir Sonnenuntergang sagen können.

Jetzt aber, wo die nicht vorhandene Sonne sich schon bald nach dem Mittagessen verabschiedet, ist es ein ziemlich wohliger Gedanke, sich einfach von der Dunkelheit Richtung Bett treiben zu lassen. In den letzten Wochen habe ich kurzerhand aufgehört, mir meine Woche abwechslungsreich zu gestalten, sondern bin abends einfach schlafen gegangen. Erst um zehn statt um zwölf, dann auch mal um halb zehn, dann um neun. Und könnte gerade nicht zufriedener mit diesem Zustand sein.

Denn es ist ja so eine Sache mit der Zufriedenheit. Sie verhält sich kongruent zu den Erwartungen. Und ist man konstant unzufrieden, wäre es ein nicht zu unterschätzender Gedanke, die eigenen Erwartungen zu überdenken. Den ganzen Sommer über und genau genommen auch die letzten Jahre hatte ich ständig fomo, ständig das Bedürfnis, noch mehr rauszuholen aus meiner Zeit und habe mich vor allem durchgehend unter Druck gesetzt, nun auch wirklich genug zu erleben. Den Sommer wie den Winter auszukosten, jeden Abend mindestens einen meiner Freunde zu treffen und das auch wirklich nicht immer an den selben Orten, hier noch einen Ausflug einzuschieben und da noch die Yogastunde. Das ist auch alles gut und schön, und ein bisschen Antrieb darf auch sein. Wenn es aber auf Dauer zu anstrengend wird und man sich nur noch selbst unter Strom setzt, dann muss irgendwann auch mal Pause sein.

Und wann könnte man diese Pause besser einlegen als jetzt? Ich begebe mich nun also offiziell in den Winterschlaf, bin tagsüber für alles zu haben, fahre aber runter, sobald es dunkel wird. Hallo Bett, hallo Netflix, hallo Ruhe. Der nächste Frühling kommt schließlich wie immer schneller als man denkt.

Bild: Mirna Funk

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4 Antworten zu “Kolumne: Eine Ode an den Winterschlaf”

  1. Ui da bekomme ich grade richtig Lust mich wieder in mein Bett zu kuscheln und mit meiner Schwester einen Film unserer Kindheit zu schauen. Mir geht es da genauso: wenn man Ruhe und Gemütlichkeit will, wieso sich dann so an ein Konzept des „Guten Lebens“ zu ketten, was einen viel zu sehr anstrengt?

    Auf den Winterschlaf!

    xx Ana http://www.disasterdiary.de

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