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Zwei Schritte vor, einer zurück? Über die Körpernormen in „Euphoria“

21. Februar 2022 von in

Foto: HBO

Achtung: Dieser Text enthält Spoiler

Es gibt eine Menge schlechte Teen-Dramas. Euphoria gehört nicht dazu. Das wusste ich auch schon, bevor ich die Serie geschaut habe – allein von Hörensagen, Memes und dem allgemeinen Hype. Trotzdem hatte ich eigentlich nicht vor, mir die Serie anzuschauen – weil ich schon im Gefühl hatte, dass hier ein Minenfeld aus Triggern auf mich wartet. Naja, ich bin eingeknickt.

Euphoria-Memes und Tiktoks haben meist die Punchline, dass Teenager unangemessen sexy und freizügig auftreten, alle wie Models aussehen und nur mit einem ausgeklügelten Glitzer-Make-Up das Haus verlassen.

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Das ist zugegebenermaßen lustig, aber in diesem Witz steckt auch einer der größten Kritikpunkte an der Serie: Teenager werden sexualisiert – und das expliziter als jemals zuvor im Mainstream. Fast alle sind kinky, impulsiv und selbstbewusst in ihrer Sexualität. Sex mit Männern über 50 wird als Empowerment verkauft und für Frauen (oder eher Mädchen) ist das Begehrtwerden das wichtigste Kapital. Die Sexszenen sind zwar artsy, aber trotzdem pornografisch – und dabei ungefähr genauso realistisch wie die Clips auf Pornhub. Wohlgemerkt mit Charakteren, die 16 Jahre alt sein sollen.

Wie früher nach „Germanys Next Topmodel“

Die problematische Darstellung von Sex war aber gar nicht der Hauptgrund, wieso ich Euphoria eigentlich nicht schauen wollte. Es war, weil ich geahnt habe, dass Trigger in Bezug auf Körperbilder auf mich warten. Und ich habe Recht behalten. Nachdem ich die erste Staffel innerhalb von zwei Tagen durch hatte, fühlte ich mich wie früher nach einer Staffel „Germanys Next Topmodel“. Es ist ein Gefühl, das man Menschen, die in normschönen Körpern stecken, nur schwer vermitteln kann: Das Gefühl, immer zu viel oder zu wenig zu sein und sich deswegen als begehrenswerte Person zu disqualifizieren. Man fühlt sich, als wäre die Kategorie „Attraktivität“ etwas, in dem man gar nicht vorkommt. Dieses Gefühl, das ich dank harter Arbeit immer seltener verspüre, wurde von „Euphoria“ aufgewärmt, ohne dass Bodyshaming wirklich thematisiert werden musste. Obwohl und vielleicht gerade weil es einen (!) Charakter gibt, der nicht normschön ist: Kat.

 

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In der Serie kompensiert sie ihre Sonderstellung zwischen ihren ausschließlich schlanken und wunderschönen Freundinnen, indem sie auf einer Party ihr erstes Mal hat, um nicht mehr als „die Jungfrau“ gelten zu müssen. Dann transformiert sie sich sehr schnell von einem schüchternen Nerd zu einer Art Teenie-Dominatrix. Mithilfe von Lack, Choker und sehr viel Lippenstift macht sie sich eine Hypersexualität und Hyperfemininität zu eigen und läuft dann transformiert und in Slow Motion den Schulgang herunter. Es wäre eine sehr empowernde Szene, wenn sie sich ihr neues Selbstbewusstsein nicht auch von alten Männern im Internet holen würde, die Geld dafür bezahlen, damit Kat sie vor der Webcam erniedrigt.

Die Girlbossification von Selbstzweifeln

Die Serie verkauft uns das als eine Art Business-Move. Eine Girlbossification von Selbstzweifeln. Und obwohl ich verstehe, dass Empowerment darin stecken kann, wenn man von der eigenen Fetischisierung endlich auch mal selbst profitiert – Kat bleibt das Opfer in diesem Narrativ. Nicht nur, weil sie natürlich viel zu jung ist, um solch eine Situation emotional unbeschadet überstehen zu können. Dass Kats Transformation zum Lack und Leder tragenden Girlboss als eine Art Lösung des Problems dargestellt wurde, war für mich der vielleicht größte Trigger von allen. Mir hat es mal wieder vermittelt, dass man sich als dicke Person einer Fetischisierung hingeben muss, um begehrt werden zu können.

Erst in Staffel zwei wird dann klar, dass ihr äußerliches „Rebranding“ keine nachhaltige Lösung für ihr Problem gewesen ist. Dann schreit sie einer Horde von imaginären Influencerinnen und Models entgegen: „I hate myself!“ und gesteht ein, dass ihre Transformation nur äußerlich war. Die imaginären Frauen, darunter auch Feministinnen, brüllen Kat dann einfach immer wieder „You just gotta love yourself!“ entgegen. Zugegebenermaßen eine ziemlich akkurate Darstellung von Bodypositivity auf Social Media.

Eine verpasste Chance

Die Narrative, die wir in den Medien vermittelt bekommen, haben große Macht. Haben wir nur wenige Charaktere zur Auswahl, in denen wir uns wiederfinden können, dann haben diese einen umso größeren Einfluss auf uns und unser Selbstbild. Wir tendieren dann dazu, uns diesen Stereotypen anzupassen.

Für dicke Frauen hieß das bisher fast immer: Sei witzig, sei bloß kein sexuelles Wesen, mach Platz für die schlanken Protagonistinnen und nehm es mit Humor, wenn man über dich lacht. Mit Kat wird nun das Gegenteil konstruiert: Eine hypersexuelle Frau, die begehrt wird. Aber die eben auch erst in der eigenen Objektifizierung Macht erhält. Beide Narrative sind problematisch. Das eigentliche Problem aber ist, dass es eben nur so wenige Optionen gibt, noch dazu nur Extreme. Was es braucht, sind mehr Facetten. Mehr Charaktere, die auf verschiedene Art und Weise vom Schönheitsideal abweichen. In „Euphoria“ hat es für nur eine Figur gereicht – alle anderen sind groß, schlank, mehr als nur normschön. Und zwar in einem solchen Ausmaß, dass es ausreicht, um mich wieder ähnlich unsicher zu fühlen wie mit 16. Was bei mir die Frage aufkommen lässt: Wie fühlen sich wohl tatsächliche 16-Jährige dabei?

Es gibt eine Menge schlechte Teen-Dramas. Euphoria gehört nicht dazu. Gerade deswegen halte ich es für eine verpasste Chance, dass die Serie es versäumt, realistische Körpernormen zu vermitteln – und die Probleme, die Schönheitsideale bei jungen Menschen verursachen, ehrlich und authentisch zu besprechen.

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7 Antworten zu “Zwei Schritte vor, einer zurück? Über die Körpernormen in „Euphoria“”

  1. Mich triggert das Wort „Girlboss“ in deinem Artikel …
    Ich nehme mal an / hoffe, es ist im Zusammenhang mit deinem Text ironisch zu verstehen. :-)
    Lieber Gruss
    Isabelle

  2. Ein schöner kritischer Artikel. Nachdem ich immer Mal wieder was von der Serie mitbekommen habe, habe ich erst durch deinen Artikel erstmalig Lust bekommen reinzuschauen

  3. Eine Sache ist mir gerade nachträglich noch eingefallen. Es ist ja schon ein gutes Zeichen, dass uns eine trans Person inzwischen absolut als normschön vorkommt. Im Vergleich zu anderen Serien könnte man aber schon sagen, dass es mit Jules, oder Rue, die immerhin auch ungeschminkt scheint und in sackigen Kleidern rumläuft, doch noch eine größere Diversität in den Körperbildern gibt. Abgesehen davon, dass selbstverständlich viele people of colour dabei sind. Aber trotzdem hatte ich beim Schauen das gleiche Gefühl wie du. Trigger trigger trigger.

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