Der unerreichbare Undone Look, oder: Der Effortless Chic ist ein Scam!

9. Dezember 2021 von in

Triggerwarnung: Body Issues

Ein Undone-Dutt, eine Jeans mit zerrissenen Nähten, ein paar simple goldene Kreolen, kein auffälliges Makeup, eine große Ledertasche. Wir sind zurück im Jahr 2015. Eine Zeit, in der vor allem eine ganz bestimmte Ästhetik die Pinterest-Walls dieser Welt füllte: der französische „Effortless Chic“. Superstars wie die Olsen Twins oder Alexa Chung zählten zu den wichtigsten Ikonen des Effortless Chic. Alexa Chung war sozusagen die CEO des „Undone Hairs“, einer Ästhetik, die ihre Frisur zerzaust und ungemacht aussehen ließ, jedoch höchstwahrscheinlich mit viel Arbeit und Friseurbesuchen verbunden war. Dass auch heute die Faszination für den Effortless French Look nicht verloren gegangen ist, beweisen Superstars wie Zoë Kravitz und ihre Fanbase. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Zoë Kravitz auch. Allerdings weniger für ihre Looks, die meistens aus einer Blue Jeans und einem Tanktop bestehen. Die Kravitz-Fanbase zeigt ihre Stilikone im entspannten Streetwear-Look und himmelt sie für ihre zeitlosen und perfekt mühelosen Outfits an. Dabei scheinen sie zu vergessen, dass sie keine Outfitikone, sondern einfach nur schön ist.

Wie effortless, also mühelos, ist dieser Chic? Spoiler Alert: nicht mühelos. Im Gegenteil: Der minimalistische Effortless Chic ist ein Scam. Und ich sage euch auch wieso:

 

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Minimalismus ist verdammt teuer 

Fangen wir mal mit dem offensichtlichsten Scam Minimalismus an. An sich ist es ja eine schöne Idee, wenig zu besitzen. Auch ich habe mich lange Zeit als Minimalistin bezeichnet, und bin es wahrscheinlich verglichen zu manch anderen immer noch. Als dieser trendige Minimalismus-Ultra brauchst du jedoch Stücke, die man „Investment Pieces“ nennt. Diese „Investment Pieces“ sind allerdings keine Aktien, sie sind einfach nur extrem teuer. Das Wort „Investment“ legitimiert es, mehrere tausende Euro für beispielsweise einen Stuhl auszugeben. Gerade im Interior-Bereich kann man sich hier dumm und dämlich investieren. In gehypte Sofas für 10.000 Euro oder mehr, in Bauhaus-Klassiker, bei deren Preisen mir schwindelig wird. Die Regel ist wie folgt: Je schlichter das Design, umso teurer. Denn wo liegt der Fokus, wenn das Kleidungs- oder Möbelstück auf den kleinsten Nenner reduziert wurde? Ja, auf dem Material, dem Design und vor allem aber dem teuren Markennamen. Unbezahlbar schöne Labels.

Der Undone-Look ist niemals undone 

Unbezahlbar schön ist auch der französische „Undone Look“. Er besteht aus den schon oben angesprochenen zerzausten Haaren, die Alexa Chung erfunden hat, einer scheinbar ungeschminkten Haut, viel Sport und gesunder Ernährung. Diese „Natürlichkeit“ wie sie gerne genannt wird, ist ein Betrug. Denn zwar tragen die natürlichen und ungeschminkten Schönheiten vielleicht kein offensichtliches Make-Up. Sie tragen sich aber höchstwahrscheinlich jeden Morgen und Abend eine 12-Step-Beauty-Routine aus teuren Cremes auf, die zeitlosen Lippenstifte sind selbstverständlich alle von Chanel. Der minimalistische Schmuck wird aus Echtgold sein und dementsprechend hochpreisig.

 

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Sehr wichtig war es von 2010 bis 2015, auf den Streetstyle-Fotos entweder ein Handy, eine Zigarette oder einen Kaffeebecher in der Hand zu halten, damit man wichtig und mühelos angezogen aussieht. Die Tasche war gerne geöffnet, da man wichtigere Dinge zu tun hatte, um auf den eigenen Look zu achten. Verzaust. Kalkuliert verzaust. Mindestens genauso wichtig wie die unsichtbare Bodycare-Routine: Parfums. Sie sind genauso unauffällig wie alles andere am Effortless Chic. Doch gleichermaßen teuer und sein Duft komplex und elegant. Er darf nicht zu parfumig sein, sondern muss Seele haben. Die nach Bibliotheken und frischer Wäsche duftende Flüssigkeit in den teuren Flakons aus Kristallglas, die das Wandregal im Badezimmer schmücken, müssen zur Stimmung und zum Charakter passen.

Is it an outfit or is she just skinny 

Die Twitterin @raynefq kritisierte im Sommer 2020 das Narrativ eines Beitrags, auf dessen Foto zwei Personen in einem Achtzigerjahre-Sommerlook zu sehen sind, die nicht dem Skinny-Ideal entsprechen. Sie sagte dazu:

„a tweet making fun of these women has 100k likes but i swear to god if bella hadid wore this exact outfit it would be on a million „80s casual inspo“ pinterest boards bc, as always, fashion is judged exclusively by the bodies that wear it.“. 

Ihre schlaue und wahre Kritik ging einmal durch das gesamte Internet und brach unter Anderem eine Trendwelle los, die da hieß: „Is it an outfit or is she just skinny“. An dieser Stelle: Ich werde keinen Deep Dive in Richtung Fatphobia machen, da es den Rahmen sprengen würde und ich nicht die Erfahrungen teile, die Personen mit anderen Body Types als dem meinen machen müssen. Ein gutes Video zu dem Thema könnt ihr euch hier ansehen. Ich beziehe mich weiterhin auf den Effortless Look, der unerreichbar ist – auch für Personen, die nicht von Fatphobia betroffen sind.

Ihr Tweet war ein perfektes Beispiel dafür, dass gewisse „simple“ Outfits, die aus Jeans und T-Shirt bestehen, nur an gewissen Body Types als „effortless“ anerkannt werden. Wie ungezwungen ist ein Look noch, der nur für einen winzigen Bruchteil der Menschen faktisch umsetzbar ist? Kendall Jenner ist eine der Modeikonen, auf die sich TikTok unter Anderem bei der Bodytype-Debatte bezieht: Is she a Fashion Icon – or is she just skinny? Es gibt zahlreiche Videos zu dem Thema, in denen TikTokers versuchen, ihren Effortlessness nachzustylen. Die TikTokerin Santina trifft es in ihrem Nachstyling-Video auf den Punkt. Sie sagt:

„There’s nothing wrong with being skinny. And there’s nothing wrong with Kendall Jenner wearing whatever she wants to wear. The problem with this are the platforms calling her ‚style icon‘ when her outfits are pretty basic. Like what’s the hype all about. The outfit? Or her body?“

So wie das oben angesprochene passende Parfum, das zum Charakter passen muss, ist es auch mit dem unmöglich zu erreichenden Effortless Chic. Der Undone Look ist eigentlich kein Look mehr, sondern ein Lifestyle. Er ist mit viel zu viel Aufwand verbunden, um ihn nur als eine Ästhetik zu beschreiben. Doch Vorsicht: Wer sich offensichtlich zu viel Mühe gibt – sich zum Beispiel zu viel schminkt oder das Outfit zu wenig „messy“ aussieht – hat verloren. Der Effortless Look ist plötzlich nicht mehr zerzaust und ungewollt genug und ruiniert.

 

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3 Antworten zu “Der unerreichbare Undone Look, oder: Der Effortless Chic ist ein Scam!”

  1. Yes, so wahr! Ich habe manchmal das Gefühl, in Deutschland ist das besonders schlimm, weil es (zumindest in manchen Kreisen) so so verpönt ist viel Makeup zu tragen, sich zu stylen oder sonst irgendwie „gemacht“ auszusehen. Das ist mir besonders aufgefallen, als ich in Beirut gelebt habe, wo das Schönheitsideal etwas anders ist und häufig super viel Aufwand betreiben was das Äußeres angeht, Makeup, Haare, Wimpern, OPs, you name it, alles Standard. Natürlich hat das auch viele negative Seiten, will das gar nicht idealisieren, aber hab mich manchmal schon bei den Gedanken ertappt, ob es nicht irgendwie ‚fairer‘ ist, weil mehr Menschen die Möglichkeit haben, diesen Erwartungen zu entsprechen, wenn sie es denn möchten. Bei ’natural beauty‘ ist man ja irgendwie einfach raus, wenn man nicht das Glück hat, dem Ideal der Stunde zufällig zu entsprechen. Wenn im Umkehrschluss das Aussehen dann weniger wichtig wäre, wäre es ja fein, aber wie du schreibst, ist das halt nicht der Fall.

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