Hilfe, ich bin eine Allein-Entscheiderin
Entscheidungen fallen mir in der Regel leicht. Gut, große Veränderungen und ich, da arbeite ich gerade dran, aber so im Kleinen bin ich sehr entscheidungsfreudig. Was willst du essen? Obst! Was ziehe ich an? Jeans! Hund oder Katze? Beides! Ich weiß in der Regel schnell, was ich will oder brauche und fackele nicht lange, diese Entscheidung zu fällen. Ich bewundere Menschen, die das genaue Gegenteil sind. Die beim Shoppingbummel langsam durch die Geschäfte ziehen, Dinge anfassen, anprobieren und sie am Ende doch nicht nehmen. Die „lieber eine Nacht darüber schlafen“ oder „Ich kann mich einfach nicht entscheiden“ sagen. Mein inneres Ich flippt dann gerne aus, denn bin ich einmal in Arket & Co. gehe ich durch den Laden, schnappe mir die Dinge, die ich mag, probiere sie an, überlege kurz, ob ich diese Dinge wirklich brauche und hüpfe dann mit der wohlüberlegten Ausbeute aus der Umkleidekabine an die Kasse. Entscheidung gefällt, aus die Maus.
Das Problem: Ich entscheide sehr gerne, und vor allem gerne allein. Zum Leidwesen meines Freundes. Denn der muss mich regelmäßig erinnern, dass wir ja doch ein Paar, ein Team oder auch eine Wohngemeinschaft sind.
Das Problem: Ich entscheide sehr gerne, und vor allem gerne allein. Zum Leidwesen meines Freundes. Denn der muss mich regelmäßig erinnern, dass wir ja doch ein Paar, ein Team oder auch eine Wohngemeinschaft sind. Und man eben nicht alles allein entscheiden kann. Mist.
Ich weiß sehr gut, woher meine Freude zum Entscheiden kommt. Ich bin jemand, der klare Ansagen liebt, mit Klarheit so viel mehr anfangen kann, als mit Schwebezuständen. Beziehungspause? Nicht mit mir, dann lieber direkt die Trennung. Und so geben mir Entscheidungen ein Gefühl von Selbstbestimmung, von Kontrolle und Sicherheit sowie dem aktiven Wirken in meinem Leben. Psycholog:innen sprechen davon, dass Entscheidungen Menschen helfen, sich zu positionieren. Dass man mit dem Entscheiden selbst, eine eigene Sichtbarkeit erzeugt. Indem man eben zu etwas Ja sagt und zu etwas anderem Nein. Wer sich mit Entscheidungen schwertut, hat in der Regel Angst, etwas falsch zu machen. Man vertraut nicht auf das eigene Urteilsvermögen. Zweifel setzen ein, man wird verunsichert und trifft am Ende gar keine Entscheidung – bis das Leben es für einen tut. Mein persönlicher Albtraum, ehrlicherweise. Ich vertraue so sehr auf mich, meine innere Stimme oder mein Bauchgefühl, dass ich keinerlei Zweifel habe, mich falsch zu entscheiden. Und wenn doch, bin ich eben selbst schuld. Damit kann ich leben. Wichtig ist mir vor allem: Ich lasse nicht entscheiden, ich entscheide. Für mich, und eben auch gerne für andere. Upsi. Woher mein Drang kommt, allein zu entscheiden, weiß ich nicht. Aber ich habe eine Ahnung.
Ich möchte in einer Beziehung auf Augenhöhe, mich immer wieder für diesen Menschen entscheiden, weil ich ihn liebe – und nicht weil ich ihn für mein Leben brauche.
In meiner Familie wurden wir Frauen immer als sehr starke und unabhängige Menschen großgezogen. „Mach dich niemals abhängig von einem Mann“, diesen Satz habe ich nicht nur einmal gehört. Er ist tief in mir verwurzelt, mir ist meine Unabhängigkeit, vor allem auch finanziell, enorm wichtig. Ich möchte in einer Beziehung auf Augenhöhe, mich immer wieder für diesen Menschen entscheiden, weil ich ihn liebe – und nicht weil ich ihn für mein Leben brauche. Wie das Ganze aussieht, wenn man gemeinsam Kinder bekommt, mal dahingestellt. Das wäre wahrscheinlich der einzige Moment in meinem Leben, in dem ich eine gewisse Unabhängigkeit in der Beziehung mit Leichtigkeit aufgeben würde, zugunsten des Kindes. Natürlich für den Moment, und nur einen bestimmten Zeitraum. Mal ganz hypothetisch gesprochen, denn wie’s am Ende ist, weiß niemand. Abgesehen davon ist mir meine Unabhängigkeit in die Wiege gelegt worden. Und mit ihr die Entscheidungsfreude.
Ausleben konnte ich diese immer gut. Statt ein duales Studium zu machen, entschied ich mich in letzter Sekunde für ein Volontariat. Ohne Reue, ohne Zweifel. In einer vergangenen Beziehung war der Mann dermaßen entscheidungsunwillig, dass ich jahrelang alle Entscheidungen für uns beide traf, bis ich irgendwann merkte: Ohne Mann wäre es entspannter. Nächste Entscheidung getroffen. Ab diesem Zeitpunkt entschied ich nur noch für mich. Wollte ich ein neues Sofa, kaufte ich es. Wollte ich abends doch noch weggehen, hielt mich niemand auf. Wollte ich statt Salat doch Pizza, bestellte ich kurzerhand. Wollte ich fünfmal die Woche zum Sport, tat ich es. Ich entschied wirklich alles für mich allein, und genoss diese Freiheit die meiste Zeit.
Denn natürlich wäre es gelogen, wenn ich mir nicht hin und wieder gedacht hätte: „Wäre doch mal schön, nicht immer alles allein zu entscheiden. Sich vielleicht auch mal zurücklehnen zu können, weil jemand anderes das Zepter in die Hand nimmt.“ Tja, be careful what you wish for. Denn ich habe zwar den für mich besten Mann der Welt gefunden, nur das mit dem Zepter aus der Hand geben, das fällt mir schwer.
Fünf Jahre lang entschied ich als Single alles allein, bis mein Freund in mein Leben trat – und ich einfach so weitermachte.
Fünf Jahre lang entschied ich als Single alles allein, bis mein Freund in mein Leben trat – und ich einfach so weitermachte. „Habe uns für Freitagabend einen Tisch reserviert.“ „Wo?“ „Bei uns ums Eck.“ „Okay, ich wäre aber auch gerne…“ Wie bitte?
Was ich in all meinem Entscheidungsaktionismus vergessen hatte: Da gab es noch jemanden, der Entscheidungen treffen wollte. Für sich und uns. Ungewohnt. Ehrlicherweise. Jemand, der sich nicht nur im Entscheidungsprozess einbringen will, sondern auch eine ganz klare Meinung zu bestimmten Dingen hat. Huch. Neu, anders, definitiv gewöhnungsbedürftig, aber irgendwie auch gut.
Wenn mein Freund nicht aufgepasst hätte, hätte ich die Wohnung wohl in Sekundenschnelle ganz allein eingerichtet.
Mit dem Umzug fiel mir meine Allein-Entscheiderin-Ambition das erste Mal so richtig auf. Wenn mein Freund nicht aufgepasst hätte, hätte ich die Wohnung wohl in Sekundenschnelle ganz allein eingerichtet. Den Geschmack meines Freundes immer im Hinterkopf, aber meinen im Warenkorb. Auch wenn wir uns in Sachen Interieur ziemlich einig sind, bei der Wahl der Stühle und meiner spontanen Eingebung meinen Freund doch noch kurz zu fragen, welche er gut finden würde, kam der kleine, feine Geschmacks-Unterschied zum Vorschein. Und so bestellte ich nicht die Stühle, die ich toll fand, sondern jene, auf die wir beide uns einigten. Learning: Tut gar nicht weh, gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Im Gegenteil. Freund happy, ich happy, Stühle toll.
Natürlich ist es schwer, jahrelange Muster abzulegen. Das Zepter aus der Hand zu geben und zu sagen: „Ich vertraue dir.“ Die Kontrolle abgeben und darauf vertrauen, dass der andere zugunsten von beiden entscheidet. Wohlgemerkt: Was man selbst ja auch die ganze Zeit tut. Den anderen mitdenken, seine Bedürfnisse beachten und einen Kompromiss finden. Selbst wenn man wie ich so ambitioniert Entscheidungen trifft. Oder sich bei Entscheidungen einen Moment hinzusetzen, Gedanken zu äußern und eine gemeinsame Entscheidung zu treffen. Das Ergebnis ist nämlich keineswegs eines, das mich enttäuscht oder unzufrieden zurücklässt, sondern viel mehr ein gutes.
Denn gemeinsam Entscheidungen treffen macht Spaß. In diesem Fall: Zu sehen, wie die Wohnung wächst, und sie uns beiden gut gefällt. Zu sehen, dass nicht mein alleiniger Geschmack unsere vier Wände definiert, sondern wir beide hier in Sachen Interieur vertreten sind. Oder kurz: Wie aus dieser leeren Wohnung nicht mehr nur meine, sondern unsere wird. Meinen Freund zu sehen, wie er glücklich ist, über unsere getroffenen Entscheidungen. Wie er sich in diesen Räumen genauso wohlfühlt wie ich. Wie er sich seine Ecken gestaltet und formt. Und da wäre noch etwas: Ich, die langsam spürt, dass das gemeinsame Entscheidungstreffen auch sein Gutes hat. Die Last liegt nicht mehr nur auf mir. Ich muss nicht mehr alles entscheiden, ich kann mich auch kurz einmal zurücklehnen und meinem Freund die Wahl lassen. Dieses Wissen muss ich noch ein bisschen sacken lassen. Mich in kleinen Entscheidungen ausprobieren („Was essen wir zu Mittag?“ „Entscheide du“) und lernen, dass eine Beziehung eben auch bedeutet: Ein Stückchen Unabhängigkeit aufzugeben. Und wenn es nur die Allein-Entscheider-Rolle ist. Ab sofort sind wir eben ein Entscheider-Duo.