Kolumne: Das heiße Eisen – Rechts und links sind nicht „gleich schlimm“

3. September 2020 von in

In den letzten Jahren hat sich ein Trend bei all jenen Menschen durchgesetzt, die sich selbst als Teil der sogenannten Mitte, als politisch liberal und „gemäßigt“ verstehen: Immer, wenn man die Gelegenheit dazu hat, muss man betonen, dass man „gegen jeden Extremismus“ sei. Immer, wenn man Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte verurteilt, muss man auch erwähnen, dass ja „linke Chaoten“ auch ganz schön schlimm sind. Immer, wenn man „NSU“ sagt, muss man auch „Antifa“ sagen. Es ist ein Narrativ, das bei Wähler*innen von sogenannten Parteien der Mitte gut ankommt, denn es scheint zu sagen: Hier ist jemand gewissenhaft, hier will jemand die Dinge mit Vernunft klären statt mit Gewalt, hier ist jemand immun gegen Ideologie. Und so wurden Antifa und Neonazis jahrelang auf Podien, in Talkshows und in Medien in dieselben Töpfe geworfen, bis es wirklich bei jedem angekommen war: Linkschaoten, Rechtschaoten – zwei Zutaten des selben gefährlichen Extremismus-Eintopfes.

Rechte Äpfel, linke Birnen

Except they’re not. Das wird sofort klar, wenn man sich mit den Fakten auseinandersetzt. Die Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität im Jahr 2018 sprechen beispielsweise eine recht deutliche Sprache: Mehr als die Hälfte der knapp 36.000 Straftaten sind dem rechten Spektrum zuzuordnen. Straftaten aus dem linken Spektrum wurden hingegen nur knapp 8.000 gezählt – weniger als die Hälfte der Anzahl von rechten Delikten. Linke Straftaten sind zudem im Vergleich zu 2017 um mehr als 18 Prozent zurückgegangen – was vermutlich daran liegt, dass diese sich meist auf Großereignissen wie dem G20-Gipfel häufen und es 2018 kein vergleichbares Ereignis gegeben hat. Man ahnt es schon: Auch die Natur der Delikte von links und rechts ist grundlegend unterschiedlich. Linke verstoßen meist auf Demonstrationen oder Aktionen wie der Besetzung des Hambacher Forstes gegen Gesetze – sie begehen beispielsweise Landfriedensbruch –, Rechte begehen hingegen vermehrt sogenannte „Propagandadelikte“, heißt: Sie schmieren Hakenkreuze an Hauswände und zeigen Hitlergrüße. Bei den wirklich schwerwiegenden Delikten, sprich Tötung, versuchter Tötung, Körperverletzung, etc., dominieren Straftaten von rechts.

Man könnte ganze Bücher mit derartigen Vergleichen füllen, aber der springende Punkt ist: Es bringt uns nicht weiter. Denn Rechtsextremismus und Linksextremismus sind keine Spiegel voneinander; sie stellen zwei völlig unterschiedliche Phänomene mit völlig unterschiedlichen politischen Ideologien, unterschiedlichen Vernetzungspraktiken und Strukturen dar. Sie sind auch nicht im gleichen Maße menschenfeindlich, denn Nazis träumen ja bekanntlich in den allermeisten Fällen davon, dass eben nicht die Würde aller Menschen unantastbar bleiben soll – Linke hingegen definieren sich in den meisten Fällen über diese Forderung und richten ihre Wut gegen das System, nicht gegen bestimmte Menschengruppen. Das letzte Mal, dass eine linksextremistische Gruppe in Deutschland über Leichen ging, ist über 40 Jahre her. Dass Politik und Medien diese einfache Tatsache so gekonnt ignorieren, wenn mal wieder der schwarze Block und der NSU in einem Atemzug genannt werden, dann bedient das die sogenannte Hufeisentheorie.

Ein heißes Eisen

Die Hufeisentheorie geht davon aus, dass das politische Spektrum einer Gesellschaft mit einem Hufeisen vergleichbar ist. Politische Kräfte sollen sich nur dadurch unterscheiden, dass sie den Staat und seine Ordnung entweder akzeptieren oder ablehnen. Heißt: Es gibt die Mitte, leichte Tendenzen nach links oder rechts, und eben die Extremist*innen – die sich gegen diese Mitte richten. Das war’s. Die linken und rechten Ränder werden so als zwei Geschmacksrichtungen desselben Extremismus verstanden.

Diese Vorstellung hat sich sehr erfolgreich durchgesetzt und erlaubt es beispielsweise, dass die AfD und die Linkspartei oftmals als gleichwertig extremistisch und gefährlich empfunden und geframed werden. Die schwerwiegenden Folgen konnten wir alle beispielsweise vor einiger Zeit bei der Wahl in Thüringen beobachten: Dort entschied sich der Kandidat der FDP, Thomas Kemmerich, lieber für eine Zusammenarbeit mit der AfD, als dem bisherigen Ministerpräsidenten – Bodo Ramelow aus der Linkspartei – den Posten zu überlassen. Kurz darauf schüttelte er die Hand des Faschisten Björn Höcke von der AfD. Zwar ließ der große Aufschrei nicht lange auf sich warten – denn dass der gemäßigte Bodo Ramelow, der bereits viele Jahre lang Ministerpräsident gewesen ist, das linke Gegenstück zu einem Neonazi wie Höcke sein soll, erschien dann zum Glück doch den meisten absurd. Doch sucht man nach den Ursprüngen dieser Regierungskrise, dann kommt man schnell auf das Hufeisenschema – und eben auf die Vorstellung, links und rechts seien „gleich schlimm“.

wenn ein paar jugendliche in stuttgart schaufenster eintreten, gibt es eine staatskrise und eine wochenlange integrationsdebatte. wenn nazis den reichstag stürmen, muss die politik die coronamaßnahmen einfach ein bisschen besser kommunizieren.

— Cihan Sinanoğlu (@canoX1925) August 30, 2020

Unser Problem heißt Rassismus

Für Parteien der sogenannten Mitte hat die Idee des politischen Hufeisens die Folge, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD in gleichem Maße als unerhört empfunden wird eine mit der Linkspartei. Oder eben manchmal – wie in Thüringen – sogar naheliegender erscheint, da FDP und AfD sich zumindest auf derselben Hälfte des Hufeisens befinden. Dass die AfD, anders als die Linke, eine menschenverachtende und undemokratische Propaganda betreibt, wird dann plötzlich nebensächlich. Und das ist brandgefährlich. Nicht nur für politische Parteien, sondern für uns alle.

In Zeiten, in denen Nazis sich in Deutschland immer sicherer fühlen, sich zunehmend radikalisieren, Politiker*innen bedrohen und Menschen töten, sollten wir alles daran setzen, diese Situation nicht länger zu verharmlosen. Und dazu gehört es auch, aufzuhören, zwei komplett unterschiedliche Phänomene ständig gegeneinander aufzuwiegen. Denn schmeißt man G20-Demonstrant*innen und Menschen wie Tobias R. – der in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven erschoss – in einen Topf, dann führt das letztlich zur Verharmlosung rechter Gewalt. Ein kaltblütiger Mord ist nicht das selbe wie ein brennendes Auto. Björn Höcke ist nicht auf einer Stufe mit Bodo Ramelow. Und Linksextremismus ist nicht „genauso schlimm“ wie Rechtsextremismus. Solange wir weiter damit beschäftigt sind, Äpfel mit Birnen zu vergleichen und die politische Mitte sich nicht entscheiden kann, was von beiden sie nun schlimmer findet, wächst das Rassismusproblem in Deutschland immer weiter. Es wird Zeit, dass wir uns diesem endlich wirklich zuwenden.

 

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5 Antworten zu “Kolumne: Das heiße Eisen – Rechts und links sind nicht „gleich schlimm“”

  1. […] Aufgrund der Demonstrationen von Coronaleugnern und Rechten, die wir in Berlin letztes Wochenende erleben mussten, sehen wir uns gezwungen unseren Beitrag zur Hufeisentheorie noch einmal hervorzuholen. So wichtig ist er und so gut erklärt Jowa ein für alle mal, dass Linksradikale niemals mit Rechtsradikalen zu vergleichen sind. Wieso das so ist, könnt ihr hier lesen. […]

  2. Ich habe den Eindruck, dass du die Hufeisentheorie nicht richtig verstanden hast. Zunächst greift das quantitative Argument ins Leere – eine politische Theorie, wie es die Hufeisenthorie ist, stellt die Empierie vereinfacht dar und dient nicht dazu, akuten Handlungsbedarf abzubilden. Links- und Rechtsextremismus bilden die Antithese zum demokratischen Verfassungsstaat, weshalb sie in der Hufeisentheorie beide gleich weit von der demokratischen Mitte entfernt sind. Linke Demonstranten, die – wie du beschreibst – den Hambacher Forst besetzen, fallen unter keinen extremestischen Begriff und werden deshalb auch nicht in der Hufeisentheorie mit Menschen gleichgesetzt, die den Hitlergruß zeigen.
    Um es mit Eckhard Jesses Worten zu sagen: „Niemand setzt «rechts» und «links» gleich. Träfe das zu, wären diese Begriffe obsolet. Einige derjenigen, die vor einer Gleichsetzung von «rechts» und «links» warnen, sind hingegen schnell dabei, «rechts», «rechtsextrem» und «rechtsterroristisch» auf eine Stufe zu stellen. Doch nicht jeder Rechte ist rechtsextremistisch und nicht jeder Rechtsextremist rechtsterroristisch. Beim plakativen «Kampf gegen rechts» fällt diese Differenzierung häufig genug unter den Tisch, wie auch eine andere: Nicht jeder Antifaschismus fusst auf demokratischen Prinzipien, schon gar nicht der militante.“ (Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/deutschland-ist-der-antiextremistische-konsens-in-gefahr-ld.1543918) Gerade die Ausschreitungen in Leipzig Connewitz mit Angriffen gegen Polizisten zeigen sehr gut, dass auch eine linke Ideologie, wenn sie sich am extremistischen Rand befindet, nicht mit demokratischen Werten vereinbaren lässt.

    • Dem kann ich nicht zustimmen. Der Artikel erläutert die Hufeisentheorie als Mittel politischer Rhetorik und nicht die Hufeisentheorie an sich. Dein Einwand, die Hufeisentheorie würde nicht quantitativ argumentieren, greift folglich nicht, da es eben nicht um die bloßen Inhalte der Theorie, sondern um die Argumentation mit der Theorie geht. Und genau hier liegt der springende Punkt: Wir können über die quantitativen Aspekte von Rechts- und Linksextremismus nicht hinwegsehnen. Die Empirie prägt unsere gesellschaftliche Wirklichkeit und nicht die Beschaffenheit einer Theorie. Auch das Zitat von Eckhard Jesse ist in der wissenschaftlichen Argumentation gefangen. Ich verstehe, was er meint und wissenschaftliche betrachtet hat er vermutlich recht. Doch worum es eigentlich geht, ist eben nicht Begriffs- oder Theorieexegese, sondern die Argumentation und Anwendung dieser Theorie und Begriffe – mit all den Fehlauslegungen etc., die in der Praxis auftauchen und den eigentlichen theoretischen Gehalt unterlaufen und verändern. Fakt ist: Empirisch betrachtet stellt Rechtsextremismus für unsere Gesellschaft aktuell ein großes Problem dar. Das kann man vom Linksextremismus nicht behaupten. Oder irre ich mich da?

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