Warum ich heirate, obwohl ich Feministin bin

1. Dezember 2022 von in

Ich werde nächstes Jahr heiraten. Das wirklich auszusprechen, klingt in meinen Ohren immer noch ein bisschen fremd. Denn Heiraten war für mich viele Jahre gar kein Thema. Weil der passende Mann fehlte. Weil ich nie diesen einen großen Mädchentraum hatte. Und weil ich als Feministin natürlich mit dem patriarchalen Konstrukt hadere. Und jetzt tu‘ ich’s doch. Verrückt.

Heiraten ist seit Jahrhunderten das Thema in unserer Gesellschaft. Und obwohl wir es heute in vielen Bereichen besser wissen, scheint es, als wäre eine Hochzeit das große Lebensziel einer jeden Frau. Das suggerieren nicht nur Medien, sondern vor allem Instagram & Co. Egal, wie selbstbestimmt und feministisch Frauen vorher gelebt haben, beim Thema Hochzeit schalten sich oftmals die Synapsen ab und wir rutschen dank der vielen Traditionen – manchmal ganz ohne es zu wollen oder besser zu wissen – schnell in veraltete patriarchale Strukturen zurück.

Beim Thema Hochzeit schalten sich oftmals die Synapsen ab und wir rutschen dank der vielen Traditionen schnell in veraltete patriarchale Strukturen zurück

Ein Kleid in Weiß, der Vater, der die Braut dem künftigen Ehemann übergibt, Brautstraußwurf sowie Namensänderung der Frau inklusive. Viele traditionelle Bräuche und Abläufe bei Hochzeiten sind vor allem eines: noch immer ein patriarchales Konstrukt. Oder wusstet ihr, dass man erst seit 1976 wählen kann, ob man den Namen des Mannes annimmt oder seinen eigenen behält? Davor war die Sache klar: Wird geheiratet, nimmt die Frau den Namen des Mannes an. Dieser darf übrigens erst seit 1994 den Namen seiner Frau annehmen. Die Realität sieht aber so aus: 90 Prozent aller heterosexuellen Paare entscheiden sich für den Namen des Mannes. Womöglich haben Männer einfach die schöneren Nachnamen, nicht? Ich bezweifle das.

Aber gut, über die Namensänderung soll’s an anderer Stelle nochmal gehen. Auch beim Thema Brautstraußwurf dreht sich mir immer wieder der Magen um. Natürlich reißen sich alle Frauen um den Strauß, denn wer ist schon glücklicher Single oder zufrieden unverheiratet vergeben als Frau? Vorsicht Ironie! Und auch die väterliche Übergabe an den Zukünftigen wirkt auf den ersten Blick süß, auf den zweiten nur noch schrecklich. Die Frau geht als Besitztum des Vaters in den Besitz des neuen Mannes über. Brechreiz. Übrigens: Von der Ehe für alle will ich gar nicht sprechen. Erst seit 2017 dürfen wirklich alle Paare in Deutschland den Bund der Ehe eingehen. Positiv betrachtet könnte man sagen: Es tut sich glücklicherweise was, und trotzdem bleiben viele beim Thema Hochzeit hochgradig traditionell. Das zeigt auch, dass noch immer 89 Prozent aller Heiratsanträge vom Mann kommen (müssen) (Quelle: Statista). Oder kennt ihr eine Frau, die einen Antrag gemacht hat? Heiraten ist auf den zweiten Blick wirklich alles andere als feministisch, und trotzdem tun es jedes Jahr Tausende von Paaren. Auch die, die sich als Feminist:innen bezeichnen würden. So wie ich. Ups.

Wenn ich ehrlich bin, wollte ich tatsächlich nie so richtig heiraten. Grund ist aber mit Sicherheit nicht mein Feminismus-Ich. Tatsächlich war meine Mutter nie verheiratet. Auf meiner allerersten Hochzeit war ich nicht als Kind, sondern Anfang 20. Die fand ich schrecklich, genauso wie die Fotos beim bayerischen Dorffotografen um die Ecke. Einzig eines schwor ich mir bereits als Teenagerin: Wenn ich eine Beziehung führe, nur mit einem Mann, den ich mir auch zu heiraten vorstellen kann. Alles andere hielt ich bereits mit 14 Jahren für Zeitverschwendung. Dann traf ich einen, doch der schloss das Heiraten kategorisch aus. Spoiler: Heute ist er verheiratet, glücklicherweise nicht mit mir. Und so stand ich da, mit Ende 20 und war sicher: Heiraten und ich, das wird nichts mehr. Mein Traum war irgendwann eine gesunde, gute Beziehung zu führen, vielleicht eine Familie zu gründen. Eine Hochzeit? Wenn’s denn sein muss. Denn irgendwann kam natürlich mein Feminismus-Ich um die Ecke und sagte: Heiraten? Nur über meine Leiche!

Wenn ich eine Beziehung führe, nur mit einem Mann, den ich mir auch zu heiraten vorstellen kann. Alles andere hielt ich bereits mit 14 Jahren für Zeitverschwendung.

Ich weiß, ich klinge fürchterlich nach Pick-me-Girl. Ich bin diese eine, die nicht heiraten will, während alle anderen Frauen es so sehr wollen. Stopp, so ist das keinesfalls gemeint. Es war nur nie ein großes Thema in meinem Leben. Es gab keine Brautkleider von Mutter oder Oma, die ich beim Verkleiden anziehen konnte, es gab keine großen Hochzeiten im Familienkreis (aber auch keine Scheidungen, yay), und selbst mein Freundeskreis heute ist relativ hochzeitsfaul. Denn ihr werdet es nicht glauben: Ich bin die erste, die heiraten wird. Ich, genau die, die nie so richtig heiraten wollte.

Warum also doch?

Ehrlicherweise wollte ich immer einen tollen Mann, mit dem ich mir das Heiraten grundsätzlich vorstellen kann. Ich wollte auf keinen Fall irgendeinen Mann, nur um zu heiraten. Oder wie Michelle Obama kürzlich auf Instagram fragte: „Do you want a wedding or a long life partnership?“ Ich wollte letzteres. Und dann war er plötzlich da. Dieser eine Mann, mit dem ich mir wirklich alles vorstellen konnte. Selbst das Heiraten. Eine Beziehung auf Augenhöhe. Eine Beziehung, die mit jedem Tag gewachsen ist. Eine Beziehung, in der wir beide Feminismus und Gleichberechtigung leben. Die einen Welpen überlebt hat, und den Abschied meiner geliebten Katze. Eine Beziehung, die auf offener Kommunikation und Ehrlichkeit basiert. Dieser Mann ist mein bester Freund, mein Teampartner, der Mensch, der mir so gut wie nie auf die Nerven geht – und das, obwohl wir dank Homeoffice wirklich viel Zeit zusammen verbringen. Und selbst in Streits, die natürlich vorkommen, bin ich mir trotzdem immer sicher: Ohne diesen Mann will nicht sein. Egal, wie blöd ich die Situation gerade finde.

Das Thema Hochzeit haben wir im Laufe der Zeit diskutiert und beschlossen, wir machen das irgendwann. Für uns. Trotz Feminismus-Zweifeln. Denn natürlich ist die Ehe weiterhin ein rückständiges Konstrukt, das auf Ungleichheit basiert. Aber die Ehe kann auch die Entscheidung zweier Menschen sein, die sich lieben. Und die füreinander einstehen wollen – auch vor dem Gesetz. Falls dem einen was passiert. Falls wir irgendwann eine Familie gründen. Falls einer von uns krank wird. Klingt nach Schönmalerei, ist es vielleicht auch ein bisschen, aber damit war ich okay.

Die Frage kam dann irgendwann im Frühling. Nicht ganz unverhofft, trotzdem ziemlich spontan, nach dem Abendessen, ganz ohne Trara. Mein Ja folgte sofort. Keine Frage: Wenn ich in meinem Leben heirate, dann diesen einen Mann.

 

 

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Kann heiraten feministisch sein? Frauenrechtlerinnen sagen Nein.

Kann heiraten feministisch sein? Frauenrechtlerinnen sagen Nein. Die Ehe ist allein aufgrund ihrer Historie ein patriarchales Konstrukt, das an jene Zeiten erinnert, in denen Frau verheiratet werden musste, um ihr Leben abzusichern. Noch vor wenigen Jahrhunderten verhandelten Brautvater und zukünftiger Ehemann über den Besitz der Frau. War der ökonomische Pakt besiegelt, übergab der Vater dem Mann die Braut. Die Frau selbst hatte nur wenig Mitspracherecht. Und auch wenn das Kleid in Weiß erst eine Idee von Queen Victoria war, die schnell zum Trend mutierte, wurde jenes weiße Kleidungsstück bald mit Jungfräulichkeit und Keuschheit belegt. Eine Braut, die Weiß trägt, ist unberührt und rein. Und auch der Schleier und der auf TikTok und Instagram beliebte „First Look“ sollte die Hochzeit nicht geheimnisvoller machen, sondern die Frau vor einem Rückzieher des Mannes schützen. Falls sie ihm vor dem Altar doch nicht so gut gefällt. Ja, it’s true.

Feministisch ist eine Hochzeit wohl nie. Dafür sind die Traditionen zu alt, ihre Historie zu sehr verankert in einer Welt, in der das Patriarchat noch stärker ausgeprägt, als es auch heute (leider immer) noch ist.

Feministisch heiraten bedeutet, mit patriarchalen Traditionen zu brechen und neue zu setzen

Trotzdem, so finde ich. sollten Feminist:innen heiraten. Um mit patriarchalen Traditionen zu brechen, und neue zu setzen. Frei von Konventionen, oder nicht mehr zeitgemäßen Standards und Traditionen. Aber immer genau so, wie es sich für den oder die Einzelne richtig anfühlt.

Ich werde also heiraten –  obwohl ich Feministin bin. Im kleinen Kreise. Und möglichst feministisch. Ohne Kirche. Ohne väterlichen Freund, der mich zum Mann führt. Vielleicht in Weiß. Mit Sicherheit aber ohne Brautstraußwurf. Und mit einem Eheversprechen, das vor allem eines verspricht: Eine liebevolle Beziehung auf Augenhöhe zu führen, in der wir beide vollumfänglich gleichberechtigt sind. Mit dem gemeinsamen Bewusstsein aller gesellschaftlicher Strukturen, die es uns als Frau und Mann schwer machen. Und das wäre dann eine Ehe, so wie ich mir das als Feministin immer vorgestellt habe. Und ganz vielleicht, bin ich eben doch eine Frau, die sich freut, zu heiraten. Jetzt. Diesen einen Mann.

Bis zur Hochzeit dauert es noch eine Weile. Aber ich nehm euch gerne auf die Reise mit. Ob Namensänderung – ja oder nein, Hochzeitsplanung oder Verlobungsschnickschnack: Worüber soll ich schreiben? Sagt doch mal!

 

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13 Antworten zu “Warum ich heirate, obwohl ich Feministin bin”

  1. Ein richtig super Artikel. Danke dafür!
    Meine Eltern haben geheiratet als ich sieben Jahre alt war. Die Fotos waren furchtbar-by the way meine Mom hat ein schwarzes Kleid getragen- und nicht einer hat gelächelt. Darüber weiter zu schreiben, würde den Rahmen sprengen.
    Jedenfalls war ich mir immer sehr im klaren, dass ich es ganz anders möchte.
    Klassisch, schön in weiß, mit allem Tamtam und ganz romantisch.
    Mit Mitte 30 habe ich dann irgendwie verstanden was Feminismus ist und mein Denken über das heiraten und diesen ganzen patriarchalen Traditionen hat sich sehr verändert.
    Wenn ich jetzt überhaupt, aus einigen guten, von dir genannten Gründen heiraten würde, dann alleine und für uns.
    Ohne Tamtam und diesen ganzen Kram. Ich habe so viele Hochzeiten jetzt erlebt und man feiert eh „nur für die anderen“. Und das Brautstraußwerfen empfinde ich jedesmal als eine echte Farce. (Huch, hab’s verpasst. Da war ich jetzt wohl auf Toilette- brechen😅)

    Dein Artikel ist toll geschrieben und ich fände alles spannend -von der Verlobung bis zur Planung, JGA‘s- schreiben.

    • Danke :)
      Ja, vor Queen Victoria haben Bräute oft Schwarz getragen, weil es das beste Kleid im Schrank war – da war deine Mama vielleicht sogar feministisch unterwegs :)
      Mir gehts genau wie dir. Ich verstehe, wenn sich jemand diese ganz große Hochzeit mit allem Trara wünscht und diese feiert. Selbst die Bräuche kann und soll jeder für sich gerne machen :) nur feministisch ist es eben nicht. Und wir müssen uns bewusst machen, dass dieser Wunsch nach einer Traumhochzeit eben sehr stark gesellschaftlich und patriarchal geprägt ist.
      Danke <3

  2. Liebe Antonia,
    danke für diesen deinen Blick auf das Heiraten. Ich interessiere mich ganz besonders dafür welche Bräuche aus welchen Gründen entstanden sind. Einiges ist natürlich bekannt, aber z.B. das mit dem First Look hatte ich noch so gar nicht auf dem Schirm – das ist ja genauso fies wie der ganze andere Rummel..
    Berichte gerne darüber, welche Themen dich bewegen und warum du dich für oder gegen sie entscheidest. Sehr spannend danke!

    • Liebe Lea,
      danke für deinen Kommentar :) Ja, das mit dem First Look war mir auch neu und ist mir erst bei meinen Recherchen über den Weg gelaufen. Jetzt sehe ich all diese schönen, emotionalen First-Look-Videos mit ganz anderen Augen :)
      Liebe Grüße,
      Antonia

  3. Danke, danke, danke für diesen Artikel. Er hat das was ich seit einiger Zeit empfinde perfekt in Worte gefasst – so wie ich es nie könnte.

  4. Erst einmal: Ich freue mich nach wie vor sehr für dich!
    Ich finde Heiraten schön. ich sehe die problematischen Dinge daran, doch für mich bedeutet es einfach, dass man auch vor dem Gesetz ein Team ist. Anders habe ich das bei meinen Eltern auch nie empfunden. Zwei Partner auf Augenhöhe, die eben zusammenhalten. Ich finde auch einen gleichen Nachnamen eigentlich ganz schön, auch das zeigt für mich irgendwie Zusammenhalt. Es sollte dann eben nur nicht automatisch klar sein, dass ich meinen aufgebe.
    Beim Thema Antrag ertappe ich mich selbst leider oft, dass ich in alten Strukturen festhänge: Ich habe Freundinnen, die darüber nachdenken selbst einen Antrag zu machen, denke mir dann aber oft: Ich fände es schon schöner, selbst einen zu bekommen.
    Schreib gerne mehr zu dem Thema, finde das sehr spannend :)

    • Danke <3
      Und ja, ich sehe es wie du, momentan ist es leider immer noch die eine Variante, vor Gesetz als Team zu gelten. Es gibt zwar auch Absicherungen ohne Ehe, aber gerade, wenn man doch vielleicht irgendwann Familie hat, ist die Ehe (leider) immer noch das sicherste Mittel. Und die Namensfrage werde ich auch nochmal diskutieren, aber sehe es auch hier wie du :)
      Die Frage ist ja auch, warum finden wir es schöner, einen Antrag zu bekommen - weil auch Gesellschaft sowie Hollywood uns allen genau das erzählen. Ich freue mich, wenn sich das langsam ändert. Aber ich verstehe auch, wenn man selbst sagt, ich bin offen für feministische neue Dinge, aber der Antrag, da bleib ich beim altmodischen :)

  5. Das ist ein ganz wunderbarer Text! Mir gehts wie dir und ich hab mich dann auch immer gefragt, ob man als Feministin heiraten „darf“. Finde den Gedanken aber schön, dass man bewusst mit patriachalen Traditionen bricht, mich würde total interessieren, welche Traditionen du noch bewusst anders machst und worauf du vielleicht stattdessen wert legst oder welche Rituale du dir vorstellen kannst. Und natürlich will ich auch gerne über die von dir genannten Themen lesen, alles spannend!

  6. Ich fände es nicht feministisch, wenn man sich eine Hochzeit verbietet, weil ihr was Antifeministisches anzuhaften scheint. Feminismus ist doch genau das – wählen, was FRAU will.
    Go for it, mach es so, wie es sich für dich gut und richtig anfühlt und wenn da ein bisschen Kitsch oder Tradition dabei ist – so what?

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