Kolumne: Mit der Liebe kommt die Sorge

6. Dezember 2021 von in

Der Tag war lang gewesen. Gemeinsam kuschelten wir uns auf das Sofa, das so gar nicht kuschelig war. Zumindest zu zweit. Alleine hatte ich es geliebt, genoßen, jetzt mit Mann an meiner Seite war es doch ein bisschen zu eng. Was in der ersten Verliebtheitsphase noch romantisch, geradezu süß ist, wird mit der Zeit nur eines: unbequem. Und so wunderte es mich nicht, als mein Freund an jenem Abend sagte: „Weißt du was, ich kaufe uns ein neues Sofa. Ein größeres.“ Ein Akt der Liebe für ihn, ein kurzer Schreckmoment für mich. Denn zwischen „Wirklich?“ und „Oh, was für eine gute Idee“ ploppte auch ein anderer Gedanke auf: Dann habe ich keines mehr.

Es war nur ein Mini-Gedanke gewesen. Ein kurzer Blitz, bevor ich meinem Freund zustimmte: „Ja, ein neues Sofa ist eine fabelhafte Idee.“ Ein Sofa, das wir beide ausgewählt habe, beide mögen und uns beide wohlfühlen. Ein Schritt mehr in Richtung gemeinsames Leben. Und doch blieb der andere Gedanke eine Weile bei mir hängen: Nicht, weil ich Sorge hatte, mir nicht im Falle einer Trennung ein neues Sofa kaufen zu können. Ikea sei Dank ist das bei Herzschmerz und gefühlter Emotions-Apokalypse das kleinste Problem. Der kleine Gedanke hatte mich viel mehr erinnert. Erinnert, daran, dass ich mich sorge. Sorge, mein Glück zu verspielen. Es zu verlieren. Erneut vor den Trümmern meiner Zukunft zu stehen. Einen Scherbenhaufen Stück für Stück abzutragen, mit größer Kraftanstrengung, mit gebrochenen Herzen, mit Tränen und einem großen Verlust. Kurz: Mit der Liebe war die Sorge gekommen. Und sie hatte die Angst, die Zweifel und jede Menge Grübeleien mit im Koffer gehabt.

Mit der Liebe war die Sorge gekommen. Und sie hatte die Angst, die Zweifel und jede Menge Grübeleien mit im Koffer gehabt.

Eine Liebe in sein Leben zu lassen ist schön. Die Gefühle fahren Achterbahn, man kann sein Glück kaum fassen. Zu schön ist es, Pläne zu schmieden, gemeinsam neue Wege zu beschreiten und neue Seiten an einem selbst und dem Partner zu erkennen. Doch während man so glücklich und verliebt auf Wolke 7 sitzt, ziehen manchmal kleine und große graue Gewitterwolken vorbei. Leise zischen sie einem ins Ohr. „Was, ja was, wenn das Ganze nicht hält? Was, ja was machst du, wenn ihr euch trennt? Was, ja was passiert, wenn das hier plötzlich Geschichte ist?“ Wie vom Blitz getroffen, taumelt man, sucht Halt auf Wolke 7. Im besten Fall pustet man die grauen Wolken weg, im schlechtesten Fall ziehen sie mit. Bleiben. Stören die kunterbunte Fahrt der Liebe.

Ich ärgerte mich. Denn eigentlich war doch alles gut. Kein Grund zur Sorge. Alles tipitopi. Denn trotzdem stand ich da, blickte auf die Sorge und ihren vollgepackten Koffer. Ich überredete sie zu gehen. Ich brauchte ihren Besuch nun wirklich nicht. Doch sie blieb. Setzte sich aufs Sofa, das damit noch ein bisschen unbequemer und enger wurde, packte ihren Koffer aus und wartete. „Ein neues Sofa wäre nicht schlecht, es ist doch etwas eng“, sagte sie. Fügte kurz danach aber an: „Das solltest du kaufen. Man weiß ja nie, nicht wahr, Schätzchen?“ Ich schluckte. Sollte ich wirklich auf den Rat der Sorge hören? Ihren kleinen Begleiterinnen von Angst und Zweifel Recht geben?

Die Antwort lauter: Wahrlich nicht. Angst, Sorge und Zweifel sind keine guten Berater. Das weiß ich aus Erfahrung gut genug. Sie geben Impulse, zeigen, wo der Schmerz sitzt. Führen uns an vergessene Orte, die wir fürchten. Aber sie sind keine guten Wegweiser. Kein Kompass, der uns ans Ziel bringt. Sie zeigen Umwege auf, lassen uns vorsichtig sein, aber sie sind kein Guide, der sich auskennt, der weiß, wie das Leben läuft.  Sie sind eher die nervige Gabi, die den Guide nach seiner Führung skeptisch fragt: „Hören Sie mal, ich glaube, ich habe aber im Reiseführer gelesen, dass das Ganze bereits im Jahr 1996 fertig gebaut worden war. Sind sie wirklich sicher?“ Danke für nichts, Gabi.

Ob Scherbenhaufen oder Happy End: Eine Garantie gibt es weder für das eine noch das andere im Leben.

Sicher sein? Sicher ist man nun wahrlich nie – schon gar nicht in der Liebe. Spoiler: Das nennt sich Leben. Niemand weiß, ob ich in ein paar Monaten, Jahren oder sogar Jahrzehnten vor einem Scherbenhaufen stehe. Ob ich mich wieder vom Boden aufkratzen muss und neu anfangen muss. Die gute Nachricht ist: Vielleicht passiert das auch gar nicht. Weil alles gut geht. Weil ich einfach Glück hatte, einen tollen Menschen zu treffen. Wir an uns arbeiten. Gemeinsam unsere Beziehung pflegen. An Stellschrauben drehen, wenn es hakt. Und der Sorge zuhören, aber die Antwort im Gegenüber suchen.

Wer sich verliebt, Hals über Kopf in das Abenteuer Liebe stürzt, braucht vor allem Mut. Mut, Unsicherheiten und negative Erfahrungen zur Seite zu legen. Den Kontrollverlust über die eigene Gefühlswelt zuzulassen und das Risiko einzugehen, dass man vielleicht verletzt wird. Die Belohnung ist aber umso schöner: eine Liebe, die auch auf dem kleinsten Sofa Platz hat. Weil der Platz, auf dem man sitzt, egal ist, Hauptsache, man teilt sein Leben mit dem Gegenüber.

Was hilft, der Sorge den Weg zu weisen? Zu wissen, dass man das Glück verdient hat. Und dass man – im allerschlimmsten Fall – auch alleine klarkommt. Die Kraft hat, sein Leben nochmal von vorn anzufangen. Weil man aus der Vergangenheit gelernt hat. Das Leben geht manchmal ab, aber meistens auch wieder auf. Dieses Wissen gibt Sicherheit. Man schöpft aus den Erfahrungen des Lebens Kraft. Und verlässt sich vor allem auf sich. Auf die eigene Resilienz. Und damit kickt man die Sorge hochkant aus der Wohnung und wirft den Koffer voller Angst, Zweifel und Grübeleien hinterher. Dann ist auch wieder genug Platz auf dem Sofa. Für meinen Freund, die Liebe und mich.

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3 Antworten zu “Kolumne: Mit der Liebe kommt die Sorge”

  1. Ich kommentiere eigentlich nie, aber ich muss. Ganz ganz ganz toller Artikel <3 So schön, so warmherzig und vor allem auch – in dieser Zeit selten – optimistisch. Wir wissen ja nie was passiert und müssen vertrauen in das was kommt. Aber was wir wissen: Wir können so viel überleben und mutig sein. Es liegt nur an uns.

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