Kolumne: Von Dating-Schnecken und Funken, die nicht sprühen
„Also ehm, wie soll ich es jetzt sagen?“ Irritiert blicke ich meinem Gegenüber ins Gesicht. So bedeutungsschwanger wie er seine Nachricht ankündigt, erwarte ich Kinder. Oder eine Scheidung. Vielleicht aber auch einfach nur einen Umzug in eine andere Stadt. In dieser Nacht noch. Ich werde es gleich erfahren, mein Gegenüber setzt zum nächsten Satz an. „Also, naja, bei mir hat es nicht gefunkt. Tut mir leid. Um sich weiterzutreffen, müssen sich bei mir wirklich gleich richtige Gefühle entwickeln.“ Ich blicke mich um. Kameras irgendwo, nein, keine versteckte Kamera. Muss ich darauf antworten. Sein Gesicht sieht so aus. Ich zwinge mich nicht, laut aufzulachen, und sage stattdessen. „Also, das ist völlig okay. Bei mir auch nicht. Aber um ehrlich zu sein, das tut es selten nach einem Kaffee beim ersten Treffen.“ Ich umarme mein verwirrtes Gegenüber, sage Tschüss und biege um die Ecke.
Dann lache ich. Ist das wirklich gerade passiert?
Zoom. Die Herzchen hüpfen aus den Augen, das Herz pocht, es hält einen kaum mehr am Tisch, als die Traumfrau das Restaurant betritt. Was Hollywood-Filme uns in etlichen Romcoms suggeriert haben, passiert nun wirklich selten auch im echten Leben. Liebe auf den ersten Blick, sodass die Funken nur so durch die Decke sprühen, ist zu schön, um wahr zu sein. Trotzdem – und das ist die Krux am heutigen Datingleben – orientieren wir uns viel zu oft daran. Unser Erwartungen an erste Dates, erste Treffen sind so immens hoch, dass man eigentlich nur verlieren kann.
Denn mal ehrlich, wer hat sich beim ersten Treffen Hals über Kopf verliebt?
An jenem Abend gehe ich amüsiert, aber auch irritiert nach Hause. Für mich, die sich wahrlich nur sehr langsam verliebt, ist das Faseln von Gefühlen und Funken nach einem ersten Treffen vor allem: merkwürdig. Ist das der Anspruch, den wir ans erste Treffen haben sollten? Dann muss ich meinen aber deutlich nach oben setzen. Erschöpft, aber nachdenklich falle ich ins Bett.
Jeder dritte Bundesbürger sucht seinen potentiellen neuen Liebes- und Lebenspartner online. Das ergab eine Umfrage von Bitkom Research. Bei den 16- bis 29-Jährigen sind es sogar 47 Prozent. Bei den 30- bis 49-Jährigen sind es 39 Prozent, here I come. Bei den 50- bis 64-Jährigen immerhin noch 35 Prozent. Menschen ab 65 plus daten oft noch analoger, laut Studie tummeln sich nur 11 Prozent online. Der Rest versucht es oldschool offline. Vielleicht sollte ich das auch probieren?
Wer Single ist, kommt ums Online-Dating heute kaum herum. Ich hatte richtig gute Dates, ein richtig schlechtes, ansonsten würde ich sagen: So gut wie kein Date war eine richtige Vollkatastrophe. Nur die Funken, die sprühten wahrlich nie. Dafür hing über jedem Treffen das imaginäre Damoklesschwert des Datings.
„Sehen wir uns wieder?“ „Ist er der richtige?“
„Ist sie cool genug?“ „Kann ich ihn mir als Partner vorstellen?“
„Ist sie die Frau zum Heiraten?“
Mein Tipp: don’t get there. Diese Fragen sind richtig und wichtig. Und klar, wer beim ersten Date um die Ecke biegt und sich denkt, seinen höchstpersönlichen Albtraum getroffen zu haben oder nach fünf Minuten das Gefühl zu haben, mit dem kleinen Bruder von AfD-Höcke zu sprechen, kann sich gleich entscheiden. Ciao, wir sehen uns nie wieder.
Der Rest von uns – und da nehme ich mich und auch mein Funken-erwartendes Gegenüber nicht aus – sollte langsam machen. Denn am Ende ist ein erstes Date immer erstmal nur ein erstes Date. Ein Kennenlernen von zwei Menschen – und kein Matchmaking für die nächste Hochzeit im Freundeskreis.
Schnelle Entscheidungen sind gut. Wenn es um die neue Jeans geht. Das Essen beim ersten Date – nichts ist nerviger, als Personen, die 45 Minuten überlegen, ob sie die Pizza mit Peperoni oder doch mit Oliven nehmen. Schnell sein darf man im Job, bei Freund*innen, ja vielleicht auch bei der Urlaubsplanung. Aber bei der Liebe? Da können wir uns Zeit lassen.
Statt Date für Date abzuarbeiten und viel zu schnelle Entscheidungen – oft gegen das Gegenüber – zu treffen,
sollten wir uns wirklich einmal Zeit geben.
Zeit, einen uns auf den ersten Blick sympathischen Menschen kennenzulernen. Ihm mehr als zwei Stunden lang Fragen stellen. Ihm vielleicht eine zweite Chance auf einen Kaffee zu geben. Nochmal ein paar Stunden miteinander verbringen. Das Feuer langsam entfachen. Funken führen nur zu Waldbränden, und die sind nicht cool.
Denn ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich bin beim ersten Date vor allem immer erstmal aufgeregt. Ein bisschen unentspannt, ich will funktionieren, mich von meiner besten Seite zeigen. Die Konsequenz: Ich rede viel, manchmal zu viel, kann nur wenig essen und wirke sicherlich manchmal ein bisschen weird. Selbst wenn hier Funken sprühen würden, mein Gegenüber ab Sekunde 1 in das Becken der Liebe abtauchen würde, ich würde es wahrscheinlich nicht mal merken.
Deswegen brauche ich ein zweites Treffen – ich agiere ganz nach dem Motto: „Wenn das erste Treffen nett war, warum nicht nochmal treffen?“ Und siehe da: Diese Idee ist gar nicht mal so blöd. Denn auch Partnerschaftsvermittlungen – ja genau diese Oldschool-Agenturen, die wahrscheinlich Menschen ab 65 plus nutzen – arbeiten oft genau nach diesem Prinzip. Potentielle KandidatInnen müssen unterschreiben, dass sie jeden Date-Partner mindestens dreimal treffen.
Und ich finde: Das macht Sinn. Denn ehrlich, ich bin eine Liebes-Schnecke und kann mich vielleicht ab dem zweiten, dritten Date erst so richtig entspannen und besser einschätzen, ob mein Gegenüber für weitere Treffen, ja vielleicht sogar eine Zukunft geeignet ist.
Dating-Schnecken sind leider nicht sehr beliebt
in der heutigen schnellen Welt.
Während Schnecken wie ich langsam nach Hause kriechen, darüber nachdenken, ob das Date nett war, sich ein zweites lohnt, passiert bei den Geparden des Online-Datings vor allem eines: nichts. Da wird gerannt, zum nächsten Date. Die Schnecke erfährt davon nur nichts, denn Geparden lieben das Ghosting. Die Schnecken macht das wütend. Denn nicht jeder kann und will mit dem Tempo der Geparden mithalten. Jenen Dating-Tierchen, die aufgrund ihres Rasens gar nicht merken, wer so am Wegesrand steht.
Mein Plädoyer: Seid keine Geparden. Erwartet keine Funken, kein Liebesfeuerwerk beim ersten Treffen. Denn Hollywood bleibt eben Hollywood.
War das erste Date nett? Würde ich mit ihm oder ihr nochmal einen Kaffee trinken gehen?
Lautet die Antwort ja, dann machen!
Es gibt ja nichts zu verlieren.
Dating muss entschleunigt werden. Lasst uns das Slow Dating etablieren. Lina Mallon sagte letztens: „Slow Dating hat nichts damit zu tun, dass wir sofort eine Bindungsabsicht haben, sondern uns nur für einen Moment lang exklusiv füreinander interessieren.“ Dass wir uns und unserem Gegenüber die Zeit geben, uns einander kennenzulernen. Und damit die Chance eröffnen, viele tolle Momente des Datings zu erleben. Und uns eben nicht nach wenigen Minuten schon gegen jemanden entscheiden, nur weil er vielleicht in der Aufregung etwas komisches gesagt hat.
Ich möchte das gerne unterschreiben. So als kleine Dating-Schnecke. Ich finde, beim Dating geht es nicht immer nur ums Ziel, sondern vor allem um den Weg. Dating soll Spaß machen, das Kennenlernen neuer Menschen ist spannend und interessant. Und ich persönlich möchte nicht beim ersten Date gleich an Hochzeit und Ehe denken. Sondern einfach nur jemanden kennenlernen. Und vielleicht funkt’s ja dann irgendwann auch.
Das schrieb ich am nächsten Tag übrigens auch meinem Gegenüber. Spoiler: Der Gepard verstand die Schnecke nicht. Und das war okay.
Fotocredit: Pexels.com
10 Antworten zu “Kolumne: Von Dating-Schnecken und Funken, die nicht sprühen”
Um es in eBay-Worten zu sagen:
Alles super. Gerne mehr!
:)
Kannst du daraus bitte eine Serie machen?? <3
Ich mag es so, wenn ihr etwas konkreter und persönlicher Einblick in eure Gedankenwelt erlaubt. Mit Beispielen, Zitaten, wie eine Kolumne halt! Beste!
Und in diesem Fall finde ich es sehr spannend. Ich bin auch eher eine "Gepardin", insofern als dass ich glaube, nach einem Abend zu wissen, ob ich mir mit jemandem mehr vorstellen kann oder nicht. Aber ich versuche, auch andere Dating-Formen zu akzeptieren. Mein jetziger Freund zB hat MONATE gebraucht, bis es für ihn gefühlsmäßig eine Beziehung war. Das ist dann aber vielleicht doch nochmal was anderes…
Liebe Elis,
erstmal danke <3 Und ja, ich kann gerne noch mehr über Dating & Liebe schreiben hihi
Ich glaube, so grundsätzlich weiß man immer nach dem ersten Treffen "Okay, geht gar nicht" oder "War sympathisch" :) - ich bin da mittlerweile einfach nicht mehr so radikal und gebe Menschen einfach eine zweite Chance, weil ich denke, ich selbst bin beim 1. Date definitiv nicht in Höchstform. Grundsätzlich weiß ich aber auch, nach einigen Treffen, wohin die Reise gehen soll. So Schwebezustände über Monate - ob Beziehung oder Affäre oder nichts - halte ich ganz schlecht aus :) Aber wenn ich weiß, das Ganze hat Potential, date ich gerne weiter - bis ich mich dann wirklich Hals über Kopf verliebe, dauert es dann nochmal :) Wahrscheinlich bin ich wahrlich eine Liebes-Schnecke :)
Am Ende macht es das ja auch spannend, wie unterschiedlich wir alle sind und wie individuell die Wege zur Liebe sind <3
Das finde ich echt interessant. Wie ist das dann – du würdest jemanden daten, auch sagen, ihr seid in einer Beziehung, auch wenn du noch nicht Hals über Kopf verliebt bist? Oder du würdest daten und erst, wenn du verliebt bist, das Ganze Beziehung nennen? Weil dann wäre es ja auch eine Art Schwebezustand.. genau, echt spannend, wie unterschiedlich die Leute da sind und deswegen umso cooler, mal Einblicke zu bekommen.
Ja, ich glaube zweiteres. Ich date sehr langsam und lasse mir auch echt mit allem sehr viel Zeit (haha) und erst wenn ich so richtig verliebt bin, nenne ich es Beziehung :) ich sag ja: Liebes-Schnecke :) Ich glaub, was ich aber auf jeden Fall mache, ist es, die Zielsetzung – sprich Beziehung – schon im Vorfeld klar anzusprechen. Sodass ich mich nicht verliebe und dann am Ende in etwas anderem hänge :)
Ich finds auch so spannend – und ich sehe, da gibt es noch viele Themen zu besprechen :) (und darüber zu schreiben:))
Ein toller Text! Vor allem weil er bzw. du Akzeptanz für mindestens zwei Dating-Arten zeigst. Die Ideen der Vorkommentator:innen find ich super: Gern mehr davon :D
Kann hier den anderen nur zustimmen: Es macht Spaß über deine Dating Erlebnisse zu lesen & tröstet auch.
Ich bin letztes Jahr auch einem Geparden begegnet – allerdings im Schneckenkostüm. Wir haben uns nämlich erst richtig viel Zeit fürs Schreiben & Fotos hin und herschicken genommen und ganz viel erzählt und dann ein -meiner Meinung nach- richtig schönes langes erstes Date mit vielen Gesprächsthemen gehabt. Dann kam allerdings der Gepard zum Vorschein, der meinte: Sorry bei mir hats nicht gefunkt. Ich will dich nicht wiedersehen. Muss man dann akzeptieren, aber ich musste damals auch eine Augenbraue beim Lesen der Nachricht hochziehen, denn ganz ehrlich: Was erwarten wir eigentlich manchmal nach einem Vino und einem Abend? Daher ein Hoch auf uns Schnecken :)
[…] eigentlich gar nicht so spezifisch war. Sie war genau genommen ein absoluter Klassiker in Sachen Dating, Affären und Beziehungen. Schließlich lässt sich das Beispiel gut auf andere Situationen […]
[…] bei dem alle Zeichen auf Grün standen? Und wir reden hier jetzt nicht zwangsläufig von den ganz großen Gefühlen mit Schnappatmung und Herzrasen. Mehr so den Begegnungen, die mehrere Boxen abhaken konnten. Die, […]
[…] Ohne Namen zu behalten. Als Allzweckmittel für Langeweile, Einsamkeit oder Herzschmerz. Nenne es Slow Dating, Achtsamkeit oder Selfcare. Darum geht es nicht, sondern mehr um die Frage, was ich mir denn […]