ask amazed: Was, wenn wir uns lieben, es aber gerade nicht passt?

27. Oktober 2020 von in

„Wie soll man weitermachen, wenn man jemanden kennen- ein bisschen lieben gelernt hat und die Person erst frisch aus einer langen Beziehung kommt und es daher noch zu früh für eine neue ist und er deswegen auf stop gedrückt hat. Ansonsten aber einiges stimmt?“

Vielleicht zu spezifisch. Das dachte ich zumindest, als uns diese Leserinnen-Einsendung erreichte. Schließlich beantworten wir bei ask amazed Fragen, mit denen sich viele Menschen identifizieren können. Doch bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass die Frage eigentlich gar nicht so spezifisch war. Sie war genau genommen ein absoluter Klassiker in Sachen Dating, Affären und Beziehungen. Schließlich lässt sich das Beispiel gut auf andere Situationen übertragen. Im übertragenen Sinne bedeutet die Frage nichts anderes als:

„Was, wenn wir uns lieben, es aber gerade nicht passt?“

Beispielsweise, weil die andere Person frisch aus einer langen Beziehung kommt, und gerade nicht kann. Oder weil sie Beziehungsängste hat, und gerade nicht kann. Weil sie gerade einfach nicht weiß, was sie will, und gerade nicht kann. Wer kennt’s?

Ich kenn’s. Von mir selbst und von anderen. Das Gewicht zwischen Nähe und Abstand auszubalancieren ist oft gerade in der Kennenlernphase zwischen zwei Personen ziemlich kompliziert. Vielleicht hat man eine unterschiedliche Vorstellung von der Beziehung zwischen einander. Während Person A gerne eine feste Beziehung möchte, will sich Person B lieber erst einmal ausprobieren. SMS und Nachrichten werden dann von Person A zerdacht, Gespräche auseinander genommen, nur in der Hoffnung, den anderen dadurch ein bisschen besser zu verstehen. Manchmal funktionieren die Annäherungen reibungslos, aber manchmal ist einfach der Wurm drinnen.
Nicht nur deshalb, weil man grundsätzlich unterschiedliche Einstellung zum Leben und zu Beziehungen hat. Vielleicht auch, weil die Lebensumstände gerade unterschiedliche sind. Die äußeren Umstände haben einen großen Einfluss auf unser Gefühlsleben. Wenn sich zwei Menschen kennenlernen, die gerade in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen stecken, kann das entweder grandios werden – oder grandios in die Hose gehen.

Zum Beispiel dann, wenn das Gegenüber die persönlichen Bedürfnisse nicht befriedigen will oder kann. Sei es, wegen Depressionen, einer eben erst beendeten Beziehung, einer gerade frisch begonnenen Therapie, Beziehungsangst, räumlicher Entfernung, einem anstehenden Umzug in ein anderes Land, oder allgemeinen Unsicherheiten, um mal nur ein paar Beispiele zu nennen. Gerade, wenn man die Bedenken der Person verstehen kann, wird es kompliziert. Man fühlt mit dem anderen mit und weiß die meiste Zeit genau, wieso das, was man sich selbst so sehr wünscht, nicht die Realität werden kann. Wieso dieser Mensch gerade keine Beziehung führen kann. Gerade.

Also fügt man sich so gut es geht. Man hört auf die Wünsche von Person B und versucht, den Menschen, der etwas mehr auf Abstand geht, nicht mit den eigenen Wünschen zu überschwemmen. Mit dem klitzekleinen Funken Hoffnung im Hinterkopf, dass „gerade passt es nicht“ würde sich bald ändern zu „jetzt passt es gut“. Man distanziert sich bis dahin emotional, um der Person Raum zu geben. Statt zu schreiben, sieht man lieber dreimal häufiger aufs Handy, falls sich der andere meldet. Und wenn er sich dann meldet, fällt einem ein riesiger Stein vom Herzen. Uff, er oder sie mag mich also doch.

Während man zu verstehen versucht, aus welchen Gründen Person B gerade nicht kann, vergisst man gerne mal seine eigenen Bedürfnisse. Oder man will sie vergessen. Es ist unheimlich schwer, sich seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse ehrlich vor Augen zu halten, weil die gesamte Situation eingenommen ist von der großen Angst, den anderen Menschen zu verlieren. Man geht den Kompromiss mit sich selbst ein, die eigenen Wünsche zurückzustellen, um dafür sein Gegenüber nicht zu verlieren. Die Angst ist so einnehmend und mächtig, dass sie lähmt. Wir reden uns ein, dass die Situation so gut ist, wie sie ist. Denn wir wissen insgeheim, dass wir keine andere Wahl haben. Entweder, wir spielen die Spielregeln von Person B und gehen auf Abstand, oder es ist vorbei. Weil er kann gerade eben nicht mehr geben als den kleinen Finger.

Es ist Zeit für ein bisschen Ehrlichkeit

Schließe ich die Augen und lasse Person B komplett aus dem Spiel, alle äußeren Umstände, und sehe nur mich selbst. Was sehe ich? Was will ich? Was erwarte ich mir von einer Beziehung? Welche Liebe will ich lieben? Wie will ich geliebt werden? Wie soll eine Beziehung aussehen, die ich gerne führe? Kann mein Gegenüber meine Wünsche erfüllen? Und vor allem aber: Führe ich die Beziehung zu Person B gerade, weil ich sie so führen will? Oder habe ich einfach Angst, die Person zu verlieren?

Es ist zu leicht, sich an dem einfachen Satz festzuhalten: „Wenn der Mensch will, dann will er.“, denn es kommt auch vor, dass ein Mensch wirklich will. Aber wirklich nicht kann. Vergessen wir mal Groll, Ablehnung und einfache Sätze, die alle Beziehungen so einfach wirken lässt. Denn es gibt nie eine einzige Regel für Liebe und Beziehungen. Es gibt keine lineare Anleitung dafür, wie man eine glückliche Beziehung führt. Es passt manchmal wirklich gerade nicht. Doch was man tun kann, ist, seine eigenen Bedürfnisse kennenzulernen. Das funktioniert wahrscheinlich nicht an einem Tag, sondern ist ein Prozess, der lange andauert. Vor allem, wenn man gewöhnt ist, sich den Bedürfnissen anderer (in diesem Falle Person B) zu fügen. Aus Angst, man könne verlassen werden. Wer eine glückliche Beziehung führen will, muss lernen, wie er eine Beziehung führen will. Und wenn die involvierten Personen gerade nicht das bieten können, was man selbst braucht, dann muss man lernen, loszulassen.

Stop choosing what isn’t choosing you

Loslassen, das ist einfacher gesagt als getan. Wahrscheinlich ist das Loslassen eines der schwersten Dinge überhaupt. Es ist so hart, etwas oder jemanden gehen zu lassen, obwohl man es nicht möchte. Aber je näher wir uns selbst und unseren eigenen Bedürfnissen stehen, umso klarer erkennen wir, was uns glücklich macht. Je näher wir uns selbst stehen, umso klarer erkennen wir den Unterschied zwischen Liebe und Angst, verlassen zu werden. Wer sich selbst nahe steht und es schafft, einen Menschen gehen zu lassen, weil sich die Bedürfnisse zu stark unterscheiden, gibt seinem Leben Raum für Neues. Neue Menschen, bei denen es gerade passt. Oder keine Menschen, weil man merkt, dass man gerade gar nichts braucht, außer sich selbst.

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7 Antworten zu “ask amazed: Was, wenn wir uns lieben, es aber gerade nicht passt?”

  1. Kenne ich auch und kann aus Erfahrung sagen: Man kann das drehen und wenden wie man will. Letztendlich ist es einfach nicht schön, sich als „zu viel“ für den anderen vorzukommen. Das Spiel aus bloß nicht zu viel Raum einnehmen, widerspricht doch eigentlich allem, was Liebe ausmacht. So viel auf dem Papier dazu, loslassen ist dann natürlich trotzdem superschwer.

  2. Wow, wie passend für meine momentane Situation.
    Ich date seit einem halben Jahr mal mehr mal weniger intensiv einen Mann mit Depressionen, der gerade dabei ist sein Leben in den Griff zu bekommen. Ich habe versucht mich von ihm aktiv loszulösen, er hat mich nicht gehen lassen, richtig wollen will er mich aber auch nicht. Was macht man in so einer Situation? Ich habe gemerkt, dass es mir relativ gut damit geht, dass ich viele Verhaltensweisen nun mit seiner Krankheit erklären kann und mehr verstehe, dass es nicht an mir liegt. Nichtsdestotrotz sind meine Bedürfnisse natürlich meist nicht gestillt. Ich versuche jetzt parallel neue Männer kennen zu lernen und damit mich irgendwie schleichend meiner Gefühle zu entledigen, ohne dass er in den „Jagdtrieb“ kommt. Sollte er wieder um mich kämpfen, würde es nur wieder die Realität verschleiern.
    Schön zu wissen, dass ich nicht die einzige zu sein scheine, die sich in so komplizierten Beziehungen wiederfindet, danke!

  3. Liebe Amelie,
    wunderbar geschrieben. Bei mir ging den letzten Monat alles knall auf Fall und auf einmal fand ich mich in etwas wieder, was ich dachte immer haben zu wollen – viel Zeit mit einem Mann, schreiben, telefonieren, Erlebnisse teilen usw., aber mein Körper schrie einfach nur „du brauchst auch viel Zeit für dich!“ Das hatte ich noch nie, weil ich immer glaubte, dass es so perfekt sein müsste. Da alles so schnell ging, hat es auch ziemlich schnell geknallt, weil ich bemerkt habe, dass es nicht gut für mich ist.
    Somit habe ich mich wieder gelöst und weiß ein Stückchen mehr, wer ich bin und vor allem: dass ich gerade ganz schön okay mit mir (allein) bin. :)

    Liebe Grüße

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