Kolumne: Von Resilienz und dem Fundament, das wir selbst sein können

8. April 2019 von in

Manchmal läuft das Leben wie am Schnürchen, es plätschert fröhlich dahin und nicht im Traum würde uns einfallen, dass irgendetwas das klare Wasser trüben könnte. Doch unerwartete Dinge passieren, und so sehr wir uns immer einen Dauerzustand des Glücks herbeiwünschen, ein Ankommen, hinter dem nichts mehr wartet als Zufriedenheit, so wenig entspricht das in den meisten Fällen der Realität. Lebenswege sind selten gerade, und die wenigsten Situationen sind ein Dauerzustand. Meistens ist das auch nichts Negatives, denn Veränderungen machen das Leben aus und sorgen dafür, dass wir nicht stehenbleiben und immer weiter wachsen. Doch manchmal schlägt der Lebensweg einen dermaßenen Haken, dass wir straucheln, völlig aus der Bahn geraten und plötzlich nichts mehr ist, wie es mal war.

Das kann eine Trennung sein, die einem eine immer größere Masse an Lebensrealität unter den Füßen wegzieht, je länger die gemeinsame Zeit war: Da sind Zukunftspläne, Lebenssituationen, in denen man es sich gemütlich gemacht hat, Familien und Kinder, vielleicht sogar die finazielle Abhängigkeit oder das Zuhause, das irgendwann mit drin hängen kann. Straucheln lassen können uns aber auch ganz andere Dinge, an die wir oft gar nicht denken wollen: Eine Krankheit, die plötzlich wie ein Blitz durch unsere Glieder fährt. Ein Todesfall eines Menschen, der uns nahe stand. Ein Unfall, der alles verändert, ein Verbrechen, das wir erleben und das uns nicht mehr so sein lässt, wie zuvor.

Je schlimmer die Krise, desto härter haut sie uns um, und desto länger bleiben wir vermeintlich liegen – doch genau dieser Punkt gab mir in den letzten Monaten zu denken: Gibt es eine festgelegte Zeit, wie lange ich nun unglücklich sein werde?

Auch, wenn meine persönliche Krise bei weitem nicht mit anderen Schicksalsschlägen vergleichbar war, rührte sie mein Inneres doch einmal kräftig durch und hinterließ mich taumelnd und ganz schön schwindelig. Obwohl ich doch eigentlich alles andere wollte, als künftig wie ein Trauerkloß herumzusitzen und all meine Energie zu verlieren. Während die Wochen also vergingen, stellte ich mir immer mehr die Fragen: Wie lange geht das denn nun so? Ist irgendwo festgelegt, wie lange man so ungefähr braucht, bis es einem wieder gut geht? Und hängt das alles von der Schwere des Schicksalsschlags ab – oder vielleicht vielmehr von uns selbst?

Wie lange und wie heftig man trauert, ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Und so sehr so mancher Nahestehende mit der Zeit auch genervt sein mag von den immer gleichen Themen, die man immer wieder durchkauen möchte, bin ich doch ein großer Verfechter davon, sich alle Zeit der Welt zu nehmen, bis das Aufstehen wieder Spaß macht und der Kaffee wieder schmeckt. Das Gefühl, dieser Traurigkeit nun jedoch voll und ganz und ohne Enddatum in Aussicht ausgeliefert zu sein, ist für mich der unangenehmste Faktor jeder Krise. So ausgeliefert, wie wir denken, sind wir allerdings gar nicht. Ein Schlagwort lief mir in der letzten Zeit zufälligerweise immer wieder über den Weg, und veränderte einiges, als ich es mir mal genauer anschaute: Resilienz.

Resilienz oder psychische Widerstandsfähigkeit ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.

So definiert Wikipedia den Begriff, der den Blickwinkel einmal umdreht: Nicht das, was uns passiert, bestimmt, was das mit uns macht. Sondern wir selbst und unsere innere Widerstandsfähigkeit sorgen dafür, ob wir schneller wieder aufstehen können, oder Trauer uns dauerhaft lähmt. Der Begriff bezieht sich auf die Eigenschaft elastischen Materials, wieder in die ursprüngliche Form zurückzufinden, und bestimmt nicht nur elementare Lebenskrisen, sondern auch, ob banale Dinge wie Alltagsstress uns mehr oder weniger aus der Bahn werfen. Und das interessanteste: Jeder kann Resilienz erlernen und auch trainieren. Die Faktoren, die dabei eine Rolle spielt, wurden kürzlich im Spiegel aufgelistet:

Resilienzfaktoren nach Ann Masten – Wegbereiterin der Resilienzforschung, Professorin und Spezialistin für kindliche Entwicklung an der University of Minnesota:
Zuverlässige, elterliche Fürsorge und sichere Bindung. Enge Beziehungen zu weiteren vertrauenswürdigen Erwachsenen. Intelligenz und die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Die Fähigkeit, Gefühle zu regulieren, sich zu beherrschen und vorauszuplanen. Das Vertrauen, sich in schwierigen Situationen behaupten zu können. Die Fähigkeit, aus Erfolgen Selbstvertrauen zu gewinnen. Effektive Schulen. Das Vertrauen, die Hoffnung oder Überzeugung, dass das Leben einen Sinn hat.

Weniger abstrakt gesprochen: Wir sind unseren Gefühlen weniger ausgeliefert, als wir denken. Und können aktiv dafür sorgen, dass genug Gegengewicht da ist, das uns Gelassenheit schenkt. Das kann Selfcare in allen Formen und Farben sein, die uns Zufriedenheit mit uns selbst schenkt. Das können alte und neue Freunde und Vertraute sein, die uns Geborgenheit und Halt geben. Das können neue Ziele und Erfolge sein, die nur wir selbst uns stecken und uns darauf konzentrieren, sie zu erreichen.

Bestimmte Faktoren können wir mehr in die eigene Hand nehmen, andere weniger. Allein der Gedanke aber, nicht komplett passiv jeder kleinen und großen Lebenskrise ausgeliefert zu sein, ändert für mich schon einiges. Denn mit jedem Schritt, den ich in den letzten Wochen aktiv und für mich machte, ging es mir besser. Mit jeder neuen Begegnung und Erfahrung, die ich wieder ganz für mich machte, füllte sich mein Leben wieder mit eigener Magie. Es kostet Kraft, sich selbst eine Stütze zu sein, und dieses Fundament nicht mehr wie selbstverständlich von einem Partner zu bekommen. Aber sich selbst zu stärken, das ganz eigene Fundament zu bilden, ist der sinnvollste Kraftaufwand, den es geben könnte.

Fotos in der Collage: 1 & 2

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7 Antworten zu “Kolumne: Von Resilienz und dem Fundament, das wir selbst sein können”

  1. Liebe Milena, das Thema Resilienz finde ich unglaublich spannend! Danke für das Aufgreifen dieses Themas. Das motiviert mich, auch mal ein bisschen da rein zu lesen und zu denken, man kann bestimmt mit einigen Denkanstößen lieben Menschen und helfen und natürlich auch uns selbst! Ich habe letztes Jahr um meine verstorbene Mutter getrauert und versuche nun langsam zu begreifen und zu reflektieren, was das mit mir gemacht hat. Wenn ich mittendrin steckte, kann konnte das ganze doch nicht so gut greifen, was jetzt Trauer ist, was jetzt andrer Stress im Job, etc. Mittlerweile freue ich mich, wie die Unbeschwertheit langsam aber sicher zurück kommt, aber dennoch weiß ich, ganz die Alte werde ich nie mehr sein. Da ist es gut zu reflektieren, was man aus der Zeit mit nimmt, um für die Zukunft wieder Stärke und Resilienz draus zu ziehen. Alles gute für dich und deinen Weg, lg thea

    • Liebe Thea,
      „ganz die Alte werde ich nie mehr sein“ – das hat mich gerade sehr berührt und ich glaube, genau darum geht es beim Thema Resilienz eben auch: Zu akzeptieren, dass man ein „Veteran“ bleibt, trotz aller zurückgekehrten Lebensfreude.
      Danke, liebe Milena für den schönen Text.

      • Genau dasselbe wollte ich auch eben schreiben: Mein herzliches Beileid, liebe Thea. Ich denke auch nicht, dass man nach bestimmten Dingen, die einem so passieren können, jemals wieder die oder der Alte sein kann – ich finde aber auch gar nicht, dass das unbedingt das Ziel sein muss. Im Grunde nehmen wir ständig neue Erfahrungen in uns auf, die uns immer weiter wachsen lassen, in ganz unterschiedliche Richtungen. Und die Dinge, die einen am meisten berühren, lösen auch ganz besonders starke Veränderungen in uns auf. Ich wünsche euch beiden alles Beste!

  2. Liebe Milena,
    Zunächst habe ich großen Respekt davor, dass du dich hier in der Öffentlichkeit so öffnest und von deiner schweren Zeit erzählst. Schließlich sind Gefühle wie Trauer, Angst, Schmerz und Passivität in unserer Gesellschaft negativ konnotiert, mitunter tabuisiert.
    Ich kann leider ebenfalls wie Thea- aus eigener schmerzhafter Erfahrung von Trauer und plötzlichem Verlust erzählen, als mein Vater letztes Jahr plötzlich und vor meinen Augen qualvoll verstarb. Nach den ersten Wochen der Planung und Organisation der Beerdigung kamen langsam die fragen, wie lange darf ich trauernd, welcher Zeitraum ist okay? Es ist selbsterklärend, dass mich diese Fragen noch schlechter fühlen ließen und meine Trauer verstärkten. Was ich als unglaublich heilsam emfpunden habe, und mir rückblickend sehr geholfen hat, war die Natur. Das spazieren gehen, stundenlang, tagelang. Es schien, dass ich mich mit der zeit dem Prozess der Natur anpasste, die sich für alles zeig nimmt, ganz selbstverständlich und gründlich. So lange wie es eben braucht. Ich habe da so viel draus ziehen und gewinnen können und einmal mehr ist mir klar geworden, dass ich nicht Teil einer Welt sein möchte, in der Trauer in Tempi bemessen wird.
    In diesem Sinne wünsche dir weniger Fragen und stattdessen mehr Zeit!

  3. Danke für diesen spannenden Artikel.
    Mir fehlt noch der Hinweis, dass man sich auch professionelle Hilfe holen darf. Das kann ein Gespräch mit dem Hausarzt des Vertrauens sein oder eine Überweisung zu einem Therapeuten, um sich andere Blickwinkel auf seine Gedanken aufzeigen zu lassen.
    Mir persönlich geht es nämlich oft so, dass ich in meinen Gedanken gefangen bin und den Menschen aus meinem Umfeld wenig traue, dass sie meinen was sie sagen. Einfach „weil das ja meine Familie und Freunde sind, natürlich sehen die nicht alles so schwarz wie ich.“
    Wenn jemand Fremdes oder Unbeteiligtes einem aber auf den Kopf zusagt, was man an seinem Denken oder Verhalten ganz einfach ändern kann, ist das oft unglaublich hilfreich.

    • Liebe Sabrina, da hast du natürlich sehr recht. Die Stigmatisierung von therapeutischer Hilfe halte ich sowieso für komplett überholt, was man aber natürlich noch mehr thematisieren könnte und sollte. Danke für diesen Beitrag dazu!

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