Lost Girl: Warum bei 10 Dates nichts passiert ist
Vanilla girls, granola boys – wir lieben Kategorien, weil sie so schön einfach sind. Manchmal fallen wir in eine, ohne es währenddessen zu merken oder gar zu wollen. Über die letzten Jahre ist mir oft der Begriff der ‚lost boys‘ in den Kanal gespült worden, und er klang immer sehr stimmig für mich: Männer – vorzugsweise aus der Generation der Millennials – die verloren durch ihr (Dating-)Leben steuern. Sollen sie doch – könnte man meinen. Wenn sie nicht so viele meiner Freundinnen inklusive mir verletzt hätten. Oder haben wir uns von ihnen verletzen lassen, weil wir keine klaren Grenzen gezogen haben?
Mit sich selbst einmal einzuchecken, ist selten wirklich schön. Denn obwohl wir tendenziell eher die Sichtweisen einnehmen, in der wir selbst von anderen verletzt wurden, war mein Verhalten auch nicht immer rühmlich.
Und ich gestehe: Ich war selbst recht lost.
Nachdem meine fünfeinhalbjährige Beziehung geendet hatte, war ich die Monate danach mit Prüfungen, der ehemals gemeinsamen Wohnung, mit Kranksein und meiner Masterarbeit beschäftigt. Zum Teil hatte ich mich verkrochen, zum Teil habe ich mich nach draußen geworfen, bin feiern gegangen und habe alte Bekannte wieder getroffen. Ich war viel unterwegs, außerhalb meiner vier Wände. Denn mein Zuhause, das einst die Pärchenhöhle war, konnte mir nicht mehr so viel geben, und ich hatte meine Probleme, mich der neuen Lebensrealität anzupassen.
Beim Geld abheben dann an der nächstgelegenen Sparkassen-Filiale bin ich an einer mir bekannten Person vorbei gestolpert. Ich war in Eile, aus dem Augenwinkel auch nicht sicher, aber ich fand ihn schon immer cute. Was mich erst total gefreut hat – ich konnte mich wieder für Männer begeistern – hat mich dann sehr überfordert, denn ich wusste, ich war nicht ready.
Eigentlich war ich nie so richtig daten und hatte es eben auch nicht zeitnah vor.
An jenem Abend war das Ziel meines Weges die Ausstellung einer Freundin, der ich über zwei Prosecco von der kurzen Blitzbegegnung berichtete. Wir saßen auf dem Balkon einer Wohnung in Charlottenburg, die innen mit den Kunstwerken geschmückt war. Mein iPhone lag zwischen uns, und als eine LinkedIn-Notification aufleuchtete, traute ich meinen Augen kaum. Das war tatsächlich er, der an der Sparkasse ebenfalls Cash geholt hatte. Stimmt, wir hatten uns dort vor etlichen Jahren connected. Ob man mich auch abseits von Geldinstituten treffen könne.
Eine Woche später umarmte ich ihn vor einer Kneipe im Wedding, nachdem ich ganz umständlich von meinem kleinen roten Klapprad gestiegen bin und recht viel Zeit mit meinem Schloss verbracht hatte. Nicht nur hatte ich seit über sieben Jahren nicht gedatet, ich verwendete mein Rad eher selten. Im Nachhinein schäme ich mich dafür, aber ich hatte mir zu Hause mit einem Freund noch zwei Kurze getrunken, so nervös war ich. Da hätte mir schon klar sein sollen, dass ich einfach nicht bereit war.
Wir saßen kaum, als ich ihn fragte ich, ob ich für uns beide Gin Tonics holen solle. Gerne einen, er trinke nie Alkohol. Mir tat das alles für uns beide leid, und der Abend war dennoch irgendwie lustig, auch wenn ich nicht mehr wirklich weiß, wie dieses Ungleichgewicht an Pegel wohl gewirkt haben muss. Nach dem Abend war ich froh, dass ich es gewagt hatte, auf ein Date zu gehen und war mir sehr sicher, dass meine Performance kein Anschlusstreffen zur Folge haben würde.
Er war nicht abgeschreckt, und wir verabredeten uns für die kommenden Tage. Die Folge war ein Dating-Loop, in den ich irgendwie reinsteuerte. Mir gefiel die Aufmerksamkeit: Sie wirkte wie Balsam nach einer doch eher starken Ablehnung durch die vorangegangene Trennung im Sommer. Die Wochen und dann Monate vergingen, und ich habe stets getrunken in den dunklen Bars und Eckkneipen, in denen wir saßen, während er, alkoholfreie Getränke schlürfend, stets aufmerksam zuhörte und sich viele Details merkte, Nachfragen stellte.
Perlen vor die Säue war oft mein Gedanke.
Es ist tatsächlich nie etwas ‚passiert‘ und nach jedem Treffen hatte ich das Gefühl, mich mehr darauf einlassen zu müssen.
Am Ende hatten wir 10 Dates. Der Gipfel war bestimmt unser Zusammentreffen im Berghain zwischen den Jahren: Er kam komplett nüchtern im Morgengrauen und hat die ganze Nacht durchgehalten zwischen all den berauschten Menschen. Ich habe mich so losgelöst gefühlt in dem ganzen Setup. Zwar freute ich mich, dass er wohl meinetwegen kam, aber ich konnte mich so absolut gar nicht auf ihn einlassen. Ich war wirklich einfach lost in meinem Leben, mit mir selbst und erst recht im Bezug aufs Dating. Die Taxiheimfahrt haben wir uns geteilt, aber auch hier habe ich ihn bei der Verabschiedung nicht näher an mich herangelassen.
Ich habe mich nie getraut, ihn zu fragen, was seine Erwartungen sind, weil ich meine eigenen gar nicht formulieren wollte und bis zu einem gewissen Grad auch gar nicht konnte.
Die ehrliche Antwort wäre gewesen, dass es mir gefiel, jemanden um mich zu haben, der nett und aufmerksam ist, und dass ich aber auch wisse, dass es nirgendwo hinführen wird. Dass ich so gerne daran glauben wollte, dass das da an der Sparkasse wohl Schicksal war und dass ich für meinen Break-up ‚belohnt‘ werde. Dass mein Herzschmerz jetzt Sinn machen würde, mit ihm.
Gar nichts hat Sinn gemacht.
Das Ende unserer ‚Geschichte‘ markierte meine wochenlang ausbleibende Antwort auf ein Treffen, auf das er sich gefreut hatte, als er aus seinem Urlaub wieder kam. Ich gab die schwammigste aller Antworten – dass ich gerade so viel anderes im Kopf hätte und mich daher erstmal nicht treffen könne.
Ich hatte mich zwar selbst dafür gelobt, dass ich ihn nicht geghosted habe, aber nett war das nicht und sicherlich auch nicht das, was er verdient hatte. Oft habe ich mich so richtig über mich geärgert, warum ich nicht mehr konnte, warum ich immer noch so verloren war und dass er auf dem Papier doch so ein guter Fang wäre.
Am Ende habe ich sicher kein Herz gebrochen, aber ich hätte in meinem eigenen Verlorensein einfach nicht daten, nicht jemandes Zeit stehlen sollen.
Es ist ok, lost zu sein. Aber es ist nicht ok, andere mit hereinzuziehen – wenn es eben nicht Zeit fürs Daten ist. Das widerspricht so ein bisschen der Logik, die auch ich noch oft in mir trage: Schnell wieder daten, schnell wieder in den Sattel hüpfen, schnell alles fixen und weitermachen.
Dabei kann die Zeit des Verlorenseins eigentlich recht wertvoll sein – wenn wir das wollen.
Und wenn wir wollen, können wir auch ehrlich damit umgehen und uns allen damit einen Gefallen tun. Das erklärt meiner Meinung nach auf die oft eher geringe Erfolgsrate mit Dating-Apps: Dort tummeln sich viele, die frisch getrennt, die schnelle Bestätigung suchen und eigentlich noch gar nicht bereit sind, zu daten oder sich zu treffen – auch wenn sie nichts Ernstes anstreben.
Die anfangs in den Artikel geworfene Frage, ob sich Personen verletzen lassen, wenn sie nicht klar ihre Grenzen und Erwartungen kommunizieren, stellt sich hier noch einmal: Lag es auch nicht ein Stück weit in seiner Verantwortung? Die Wahrheit liegt sicher in der Mitte, denn man kann zugutehalten, dass er auch einfach sehr geduldig war und eventuell keinen Druck aufbauen wollte. Ich hätte nicht so viel im Vagen lassen müssen und ehrlich die Karten auf den Tisch legen können. Findet euch nicht im Dating wieder, findet euch in euch selbst wieder: Das tut uns allen besser.
3 Antworten zu “Lost Girl: Warum bei 10 Dates nichts passiert ist”
„Ich war noch nicht ready, obwohl er so cute war, aber ich war einfach zu lost um richtig zu connecten“- so geht Journalismus heutzutage also.
Es ist so schade, dass ihr den Fokus auf Instagram legt … Ich dachte, wir wollen alle eher weniger Zeit dort verbringen. ))):
Ja, verstehe das total gut. Gleichzeitig ist es gerade so viel leichter für uns und Milena mit Baby :) Aber wer weiß, was bald wieder hier passiert!