Ask Amazed: Ist es komisch, mit Anfang 30 wieder in eine WG zu ziehen?

24. August 2020 von in

Wie klappt das Leben als Freiberuflerin? Würdet ihr jemandem verzeihen, der euch betrogen hat? Wie geht ihr mit Ängsten um? Uns erreichen immer wieder spannende, persönliche Fragen. Wir bloggen seit fast zwölf Jahren. Ihr kennt uns auf eine besondere Art und Weise, und gemeinsam sind wir irgendwie alle erwachsen geworden. In unserer Rubrik ask amazed wollen wir uns diesen Fragen widmen, mit euch unsere ganz persönlichen Meinungen und Erfahrungen teilen und euch an unseren Gedanken und Erkenntnissen teilhaben lassen. Ihr habt eine Frage, die euch im Kopf schwirrt, zu der euch unsere Gedanken interessieren? Dann her damit!

Die Frage heute ist: Findest du es merkwürdig, wenn man mit Anfang 30 wieder in eine WG zieht?

Es gibt viele Gründe, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Die Gängigste – das gebe ich zu – ist vermutlich die, dass man jung ist und das Geld braucht. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass wir WG’s vor allem mit schnapsreichen Parties, angetrockneten Essensresten und geklauten Verkehrsschildern assoziieren. Hört man WG, dann denkt man: Junge Menschen mit wenig Ansprüchen. Kein Wunder also, dass es vielen Menschen erst mal ein bisschen komisch vorkommt, wenn man im erwachsenen Alter von 30 noch ein Bedürfnis nach WG-Leben äußert: Es klingt, als würde man sich seinem Alter verweigern und krampfhaft versuchen, an einer sorgloseren Jugend zu klammern. Ein bisschen so, wie wenn ich versuche, TikTok zu verstehen oder Fortnite-Tänze zu lernen.

Je älter die Mitbewohner*innen, desto besser die Wohngemeinschaft

Die Wahrheit ist aber: Wohngemeinschaften werden immer besser, je älter ihre Bewohner*innen sind. Denn je weiser man ist, desto besser weiß man, was man will und wie man diese Bedürfnisse kommuniziert. Dabei kann ein wunderbar ausgeglichenes Zusammenleben herauskommen, das mit Student*innen-Zweck-WG überhaupt nichts mehr zu tun hat. Man kann sich aussuchen, mit wem man jeden Tag am Küchentisch sitzen will und man hat in der Regel bessere Ressourcen, um dieses Zusammenleben so zu gestalten, wie man es sich wünscht. Und das klappt in einer WG teilweise sogar besser als mit einer Person, mit der man in einer romantischen Beziehung ist – denn es steht viel weniger auf dem Spiel, man hat weniger unerreichbare Standards an die andere Person und es kommt zu weniger Drama.

 

Trotzdem gilt ein Leben in Gemeinschaft jenseits der 30 eigentlich nur als gesellschaftlich anerkannt, wenn man mit Partner*innen und/oder den eigenen Kindern zusammenwohnt. Wieso eigentlich? Es gibt keinen einzigen sinnvollen Grund, wieso man nicht auch mit 30, 40, 50, 60 oder 70 in einer WG leben sollte. Ob ein Zusammenleben funktioniert, hängt zu 100 Prozent von den Personen und zu null Prozent von deren Alter ab. Und wenn es funktioniert, dann kann eine Wohngemeinschaft eine der stabilsten und wertvollsten sozialen Anker sein, die man haben kann. Das ist eine Tatsache, die einem ganz besonders zugute kommt, wenn man jenseits der 30 zunehmend ein stressiges Erwachsenenleben führen muss, in dem man vor lauter Verantwortung oft immer weniger Zeit hat, seine sozialen Kontakte jenseits von romantischen Beziehungen zu pflegen. Wenn man Freund*innen in den eigenen vier Wänden hat, dann fällt es einem auch automatisch leichter, der eigenen sozialen Isolation entgegenzuwirken, die sich mit voranschreitendem Alter immer mehr ins Leben schleicht.

Vater, Mutter, Kind, Einfamilienhaus, Golden Retriever, Renault Twingo und Thermomix

Der Grund, dass Wohngemeinschaften gesellschaftlich als etwas gelten, das man mit dem Erwachsenwerden besser sein lassen sollte, ist in einem Konzept verankert, das eigentlich längst veraltet ist: Die Idee der klassischen Kleinfamilie. Vater, Mutter, Kind, Einfamilienhaus, Golden Retriever, Renault Twingo und Thermomix. Während es natürlich absolut in Ordnung ist, genau das zu wollen, sollten wir im 21. Jahrhundert aber eigentlich verstanden haben, dass es durchaus auch möglich ist, etwas anderes zu wollen. Um eine Familie zu sein, muss man nicht biologisch verwandt sein. Man muss nicht heiraten, wenn man ein Kind bekommt und hey! Es ist sogar okay, überhaupt keine Kinder zu wollen. Man kann mit jemandem zusammen sein und nicht mit ihm oder ihr zusammen wohnen wollen. Und man kann eben auch 30 sein und sich ein Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft wünschen.

 

Dass man bei all diesen Entscheidungen nach wie vor schief angeschaut wird, obwohl Menschen schon immer diese Bedürfnisse hatten, ist eine Folge von einem sehr starren Bild des Erwachsenseins. Ein Bild, das sich am Besten verändern lässt, wenn wir es aktiv in Frage stellen und uns überlegen, was für ein Leben wir eigentlich wirklich führen wollen. Und das dann auch machen. Sodass es hoffentlich bald nicht mehr als merkwürdig gilt. Mein Fazit lautet also: Nein, es ist überhaupt nicht komisch, mit Anfang 30 in eine WG zu ziehen. Was merkwürdig ist, ist die gesellschaftliche Vorstellung, wie ein Erwachsenenleben auszusehen hat.

Bildcredits: Unsplash

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