Kolumne: Alles eine Frage der Haltung

29. Januar 2014 von in

„Illusions of the Body“ ist ein Fotoprojekt der Künstlerin Gracie Hagen, das diese Woche im Internet kursierte. Frauen jeglicher Körperform wurden darin je zweimal nackt fotografiert – einmal in vorteilhafter, gestreckter Haltung, den Bauch eingezogen, das Kinn Richtung Himmel, die Oberschenkel überkreuzt, den Arm hinter den Kopf geworfen. Und dann einmal ohne diese Tricks: bucklig, mit herausgestrecktem Bauch, hängenden Brüsten, breitbeinig, mit heruntergezogenen Mundwinkeln und Doppelkinn. Es handelt sich immer um dieselbe Frau im selben Setting, bei gleicher Beleuchtung und durchweg nackt, doch unterschiedlicher könnten die beiden Darstellungen nicht wirken.

Gracie Hagen zeigt in dieser kurzen Strecke, wie wir uns alle kollektiv verarschen. Wir alle präsentieren uns reihenweise auf Facebook, Instagram oder unseren Blogs. Bis es ein Selfie schafft, hochgeladen zu werden, werden mindestens 10 geknipst, bei Outfitfotos sind es noch viel mehr. Wir zeigen immer unsere Schmankerlseite, jedes unvorteilhafte Foto wird gelöscht und gar nicht erst hochgeladen. Und wenn es dann doch passiert und man mit Schielblick und Doppelkinn auf einem Partyfoto getaggt wird, dann will man im Erdboden versinken.

Die Selbstdarstellung wurde nie krasser praktiziert als heute und von überall her kriegen wir die geballte Ladung an Schönheit serviert. Jeder sieht auf seinen Profilfotos fabulous aus, die Blogger auf ihren Outfitfotos sowieso und die Models in den Kampagnen ja eh schon immer. Durch die kollektive Online-Selbstdarstellung wächst der Druck, immer nur die vorteilhafteste Seite von sich zu präsentieren, mitzuhalten mit den anderen, die einen von ihren Anzeigebildern aus anstrahlen. Dass Schönheit auf Fotos aber immer eine Frage der Körperhaltung, des Lichteinfalls, des Bildausschnitts oder des Makeups sind, wird einem immer unbewusster, je normaler die Online-Selbstdarstellung wird.

Dass man sich mit Baucheinziehen, Strecken, Drehen oder Hände hinter den Kopf legen locker zehn Kilo leichter wirken lassen kann, wissen wir schon aus Dauerwerbesendungen, die einem Schlankmacherhosen oder Diätpillen verkaufen wollen. Die Vorher-Nachher-Fotos enttarnt jeder denkende Mensch als Werbestrategie und kann darüber lächeln. Wenn das Ganze aber nicht dazu praktiziert wird, etwas zu verkaufen, sondern das eigene Ego zu pushen und das Schönheitsideal im vermeintlich normalen Umfeld zu beeinflussen, wird die Sache schwierig. Auch in der Bloggerwelt sind die unwirklichen vorher-nachher-Fotos schon angekommen, und selbst Outfitfotos werden perfektioniert, aussortiert und bearbeitet.

Auch wir machen Outfitfotos, versuchen uns dabei zwar so normal wie möglich zu inszenieren, werden aber sofort selbstkritisch und sortieren alles Unvorteilhafte aus. Und wenn man einen schlechten Fototag hat, sinkt schonmal die Laune, wenn man sich einfach auf keinem Foto gefallen mag. Und dann kommt Gracie Hagen mit ihrer Fotostrecke und schreit uns ins Gesicht: Seid so wie ihr seid! Mögt euch! Jeder kann auf Fotos super aussehen, es geht doch um so viel mehr!

Ihre Fotostrecke ist wie ein Anker in diesem Wirbel der Schönheitsillusionen, der uns mal wieder auf den Boden holt. Der uns in Erinnerung ruft, dass die Fotos der Superstarbloggerin oder der schönen Bekannten auf Facebook nur Bilder sind und nicht den Menschen in allen Facetten darstellen. Und vor allem, dass Schönheit nicht Perfektion und Inszenierung bedeutet. Und wir ohne schlechten Gewissens ungeschminkt und bucklig am Frühstückstisch sitzen dürfen und dabei nicht weniger fabulous sind.

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16 Antworten zu “Kolumne: Alles eine Frage der Haltung”

  1. Liebe Milena,
    das hat du wirlich, wirklich schön geschrieben. Denn diese Masse an Fotos im Netz kann einen manchmal wirklich schier zur Verzweiflung treiben. Es gibt mittlerweile so viele wunderschöne Fotos von Frauen im Netz und man setzt sich selbst unter Druck, mitzuhalten. Viel schöner ist es, manchmal einfach durchzuatmen und sich zu sagen: drauf geschissen. Denn – wie du so schön geschrieben hast – der Mensch besteht wirklich aus viel mehr Facetten.
    Dank dir für diesen Artikel.
    Liebst, Bina

  2. Du hast so Recht! Dieses ständige Vergleichen ist eh schlimm. Jeder Körper ist auf seine Art und Weise schön und jeder hat eine andere Vorstellung von Schönheit (welche, wie du so ja beschrieben hast, von den Medien sehr bedroht ist). Wir sollten lieber aufhören uns Gedanken darüber zu machen wie wir aussehen und lieber anfangen uns selbst wohl zu fühlen, denn nichts macht attraktiver als die Zufriedenheit.:)

  3. Liebe Milena,
    das ist wirklich ein sehr, sehr guter Artikel! Heutzutage ist es für junge Menschen wirklich schwer, sich vom Schönheitswahn (oder eher dem Wahn nach Perfektionismus) nicht beeinflussen zu lassen. Man kann ja nicht einmal mehr durch die Stadt laufen, ohne von vermeintlich perfekten Beauties auf überdimensional großen Leinwänden angestarrt zu werden. Dass der Trend inzwischen von ’skinny‘ zu ‚healthy‘ geht, mag vielleicht ein kleiner Fortschritt sein, doch im normalen Leben neben Uni, Arbeit, Freunden, Familie, Schule etc auszusehen, wie ein Victoria’s Secret Model? Diese Art von Disziplin – und Zeit! – hat nicht jeder.
    Diese Kampagne holt einen wieder auf den Teppich und zeigt finde ich vor allem, dass jeder Mensch auf seine ganz eigene Art und Weise schön sein kann.
    Vielen Dank für diesen Artikel! (:

    Liebe Grüße,
    Laura
    beautytastesgood.de

  4. So eine gute Idee – und dann diese Umsetzung. Hätte man die Beleuchtung noch irgendwie künstlicher und übertriebener wählen können? Gezielt gesetztes Licht ist genauso Retusche wie ein Weichzeichner oder Aufheller in Photoshop. Wieviel Photoshop-Arbeit da noch drin steckt will ich gar nicht wissen.
    Für mich verliert die Strecke dadurch so viel an Wert. Sehr bedauernswert.
    Sie hat übrigens auch Männer fotografiert. Klar, dass „Brigitte“ die Tatsache einfach mal unter den Tisch fallen lässt. Ist ja schließlich „reine Frauensache“, haha.

    • Klar ist das total überspitzt und die unvorteilhaften Haltungen sind genauso übertrieben, bearbeitet und gekünstelt wie die vorteilhaften. Für mich verliert die Strecke dadurch nicht an Wert, ich seh das Ganze eher als Karikatur. Natürliche, ungeschminkte Fotos sind natürlich wieder was ganz anderes.

  5. An sich finde ich das Projekt gut, sehr eindrücklich wie stark auf Bildern geschummelt wird ;)
    Aber ziemlich bescheuert sind die Untertitel die Brigitte da zu den Bildern geschrieben hat. Soll wohl ironisch sein, wirkt aber voll daneben: „Die Brüste …müssen immer stehen wie ’ne Eins, klar. Hängen lassen ist nicht erlaubt – aber die Dinger hängen nun mal.“
    Danke Brigitte, das wirkt wie ne Ermahnung von Oma: „stell dich gefälligst gerade hin!“

  6. Liebe Milena,
    zunächst einmal: großes Lob für diese wirklich gelungene Kolumne! Ich finde es sehr erfrischend, dass es noch Modeblogs mit gesellschaftskritischen Inhalten gibt. Es ist traurig, dass gerade ein so wichtiges Thema in eben dieser Branche vernachlässigt wird. Die zahlreichen dürren und oftmals zu Tode photogeshoppten Models, die einem von etlichen Magazincovern und Werbetafeln entgegen starren, sind inzwischen irgendwo doch zur Gewohnheit geworden, es ist jedoch – gerade für junge Leserinnen – bedenklich, dass vermeintlich normale Menschen, die für jene als Blogger oä eine gewisse Vorbildfunktion einnehmen, höchst gekünstelte und idealisierende Bilder von sich selbst verbreiten. Denn wie du beschreibst, geraten so Authentizität und Menschlichkeit in den Hintergrund.
    So sehr ich das Projekt der Fotografin auch bewundere, finde ich es dennoch ein wenig schade, dass sie weitgehend einen Typ Frau für die Serie verwendet: jung und schlank bzw. normalgewichtig. Ich persönlich hätte mir gerade von so einem Projekt, dass sich zum Ziel setzt, möglichst unterschiedliche Menschen auf eben diese Weise darzustellen, etwas mehr Vielfalt gewünscht (von dem Brigitte Artikel möchte ich hier gar nicht erst anfangen, shame on them).
    Dennoch, ein wirklich tolles Projekt, danke für’s Teilen!

  7. Zumal ich einverstanden bin, dass die übertriebene Selbstdarstellung ein Problem ist, sollte man auch die andere Seite betrachten… Durch die selfie-kultur und die durch das Internet gegebene Möglichkeit, eine bessere, hübschere Version von sich selbst zu zeigen, lernt man auch, sich selbst zu mögen. Ja ich schummle ein bisschen wenn ich meinen Körper strecke und mich schminke, aber andererseits gibt es mir auch die Möglichkeit mich selbst schön zu finden… Es sollte natürlich alles in Maßen geschehen, aber Selbstdarstellung ist etwas was es schon immer gab, schon Warhol sprach von den 15 Minutes of Fame, und es ist ganz normal, dass wir uns nur von unserer besten Seite darstellen wollen, niemand würde absichtlich seine negative Seite zeigen, ob auf Fotos oder nicht… Sei du selbst und akzeptier dich selbst, aber es ist nichts schlimmes, sich Unbekannten (!) von seiner besten Seite zu zeigen…

  8. Hey! Mal ehrlich, ich lese fast täglich euren Blog und bin immer wieder begeistert! Besonders gefällt mir, dass ihr einfach richtig toll schreiben könnt. Macht einen riesen Unterschied zu vielen anderen Blogs :) Auch diese Gedankengänge von dir Milena, sind super gelungen!

  9. Geht es nicht in diesen Bildern nicht auch darum zu zeigen, dass jeder toll und selbstbewusst aussehen kann, wenn er eine schöne selbstbewusste Körperhaltung hat? Selbst wenn man keinen schönen Körper hat. Seien wir mal ehrlich, die geduckte Körperhaltung, die die meisten Menschen mittlerweile haben, seht erstens schrecklich aus und ist zweitens ungesund für den Rücken.

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