Mercedes Lauenstein und die Geschichten der Nacht

16. September 2015 von in

Vor ein paar Wochen zog ich ein kleines, blaues Buch aus meinem Briefkasten. „Nachts“ stand darauf und „Mercedes Lauenstein“, und ich wusste sofort, ich könnte jetzt ohne Probleme alles stehen und liegen lassen und den Tag mit diesem Buch verbringen. Denn was Mercedes schreibt ist so voller Alltagspoesie, voller kleinen Beobachtungen und wunderbarer Sätze, dass ich regelmäßig abtauche in ihre ganz besondere Wahrnehmung, wenn ich in der Süddeutschen Zeitung oder auf jetzt.de mal wieder über einen ihrer Artikel stolpere.

Mercedes traf ich zum ersten Mal vor fünf oder sechs Jahren im K&K, einer der guten alten Bars. Sie war gerade frisch in München angekommen und mir sofort unglaublich sympathisch. Heute gehört sie für mich zum Inbegriff von München: In ihren Texten, die sie oft zusammen mit ihrem Freund, dem Fotografen Juri Gottschall entwickelt, beleuchtet sie München von allen bekannten, unbekannten, vergessenen oder übersehenen Ecken und geht ein bisschen wie die fabelhafte Amélie durch die Stadt und auf die Menschen zu. Das, was sie im Journalistischen schon in Texten wie „Über eine Nacht auf dem Fahrrad“ interessierte, die unerwarteten Begegnungen und spontanen Gespräche, führt sie mit ihrem Debütroman auf literarische Weise weiter: Die Protagonistin geht nachts durch die Straßen und klingelt da, wo noch Licht brennt. Was entsteht, sind Gespräche aus einer der intimsten und einsamsten Situationen heraus, Kurzgeschichten, die man sich aufsparen will, so schön sind sie.

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An einem sonnigen und viel zu heißen Spätsommertag treffe ich Mercedes vor der Glyptothek. Normalerweise sitzt man draußen auf den Steinstufen und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen, sie aber führt mich in den stillen Innenhof. Hier stehen weiße Stühle und Tische ohne System, ein paar Menschen lesen Zeitung oder essen Kuchen und die Welt ist sofort ein bisschen langsamer. Solche Orte, die findet Mercedes, dafür hat sie ein Gespür. Wir setzen uns mit Schorle und Sanbitter an einen der Tische und mir fällt ein Artikel von vor fünf Jahren ein, in dem sie erklärte, dass sie nicht studieren werde. Dass ein Studium ein bisschen wie ein großer Pausenknopf vor der Selbstständigkeit sei, und sie eigentlich schon genau das mache, was sie machen möchte: Zwei Tage die Woche in einer festen Redaktion, den Rest der Zeit freie Journalistin.

Heute sind fünf Jahre vergangen und Mercedes hat doch studiert, Europäische Ethnologie. „Als ich jedem davon erzählt hatte, dass ich nicht studieren werde, war ich auf einmal frei von diesem Druck. Und konnte es mir ganz ungezwungen ansehen. Die Themen des Studiums waren eine wahnsinnige Bereicherung und genau das, womit ich mich auch für meine Texte beschäftige. Aber wissenschaftliches Arbeiten ist einfach nicht das, was ich am liebsten mache.“ Viel lieber sitze sie heute in einer neuen Wohnung, die sie mit ihrem Freund als gemeinsames Büro gemietet hat. Hier kann sie malen und kreativ werden, in Ruhe schreiben und ein bisschen abtauchen. Zwei Tage die Woche in einer festen Redaktion, das reicht. An den anderen Tagen bleibt sie manchmal so lange wach, wie die Figuren in ihrem Buch, schreibt einen Text fertig, räumt danach die Wohnung auf und geht um drei oder vier mit dem Gefühl ins Bett, dass alles geschafft ist und kein Wecker um sieben Uhr klingeln wird.

Mercedes ist eine dieser Personen, die genau so lebt, wie es für sie am passendsten ist. Die sich keinen Erwartungen und Schemata aussetzen möchte, sondern auf ihr Inneres hört, statt auf äußere Konventionen. Und die zeigt, das genau aus dieser Einstellung die schönsten Dinge hervorgehen. „Die Idee, nachts bei Menschen zu klingeln, hatte ich eigentlich für eine Artikelserie. Aber das Ganze ist so intim, dass ich mich als Journalist nicht wohl dabei gefühlt hätte, jemanden so zu überfallen. Jetzt habe ich mir die Geschichten für mein Buch ausgedacht und aufgeschrieben. Es ist lustig, obwohl alles fiktiv ist, gehe ich manchmal an Häusern vorbei und habe das Gefühl: genau das da oben ist die Wohnung von Thomas aus meinem Buch. Oder von Jule, oder von einer anderen Figur. Die Wohnungen scheint es alle zu geben, vielleicht hatte ich sie schon unterbewusst wahrgenommen. Jetzt könnte man eigentlich klingeln und sagen ‚In deiner Wohnung lebt eine meiner Romanfiguren, erzähl doch mal von dir.‘ Das wäre doch ein guter Fortsetzungsroman!“

Die Figuren, die die namenlose Ich-Erzählerin aufspürt, haben alle eines gemeinsam: Sie schweben schlaflos in der Zeit weit nach Mitternacht, die so weit weg ist vom Tag. Manche können nicht schlafen, manche lieben genau den Zustand der Ruhe, der Einsamkeit und der Alltagsentrücktheit. Meist folgt auf eine erste Verwunderung ein Hereinlassen in die Wohnung und die Intimität, es ist schließlich nachts, da ist alles möglich. Es geht nicht um Morgen, nur um den Moment. Und dabei steht jede Begegnung für sich. Man kann die Geschichten alle hintereinander oder ganz langsam lesen, jeden Tag eine. Und manche immer wieder.

Mercedes Lauenstein: Nachts, 18,95 Euro

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13 Antworten zu “Mercedes Lauenstein und die Geschichten der Nacht”

  1. hab‘ zwar bei der letzten buchvorstellung gemeckert (und zu recht! ich hab reingeschaut! grauenhaft geschrieben! und das ist keine geschmacksache!) aber dieses hier interessiert mich sehr! vielen dank für den tip!

    xx

    • Liebe Louisa,

      ich finde es ziemlich anmaßend, dass du dir erlaubst über subjektive Buchtips (zu dem Thomae-Buch) tatsächlich so zu urteilen. Natürlich ist der Stil eine Geschmacksache. Und wer nach jedem Satz ein Ausrufezeichen brauch, sollte mal über seinen eigenen Schreibstil nachdenken.

      Ich finde jedenfalls das alle Buchtips hier immer sehr schön und bedacht ausgewählt sind. Ob das nun den eigenen Geschmack treffen mag, oder eben nicht. Ich bin sehr gespannt auch auf Mercedes‘ Buch, auch wenn ich nicht aus München komme.

      Grüße, Luisa ohne o

  2. Klingt spannend – und passenderweise ist einer meiner Book Challenge Punkte für 2016: Kurzgeschichten! Da ich dieses Jahr vermutlich eh nicht mehr dazu komme, das Buch zu lesen, weil meine Lese-Liste noch so lang ist, werd ich es mir direkt für meine neue Challenge aufschreiben :)

  3. Schöner Artikel!
    Ich habe woanders auch von dem Buch gelesen und da schon gedacht, sowas kann eigentlich nur eine Europäische Ethnologin geschrieben haben. Deshalb freut es mich gerade extra doll, dass die Autorin tatsächlich Europäische Ethnologin ist… Einen lieben Gruß an die Kommilitonin :)
    Das Buch muss ich lesen.
    Lieben Gruß!

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