Strong Independent Woman: Empowernd oder Selbstsabotage?

26. Juli 2022 von in
„Aber du kannst doch alles haben“, versuchte mir kürzlich ein Mann zu erklären. Und ich würde mir wirklich wünschen, es wäre so. Doch jemandem zu erklären, wieso du deine eigene Priorität bist und Unabhängigkeit an erster Stelle steht, funktioniert vielleicht in Filmen oder Gedanken richtig gut. Aber habt ihr das mal in real live gemacht? Da hört sich nämlich alles, was nach einem „Sorry, aber ich fokussiere mich gerade irgendwie nur auf mich und habe keine Kapazität für andere“ kommt, ganz schön dämlich an. Und wenn dann vom Gegenüber nur ein unverständliches „Das eine schließt das andere ja nicht aus“ kommt, hat man den Salat. Denn irgendwie tut es das doch.

Oder habe nur ich das Gefühl, dass man sich als Frau, auch heute noch, immer ein Stück weit zwischen Karriere und Partner:innenschaft entscheiden muss? Sogar fast schon ein schlechtes Gewissen hat, dieser ewige Single zu sein, der auf seine Freiheiten pocht und sich nicht bindet. Denn man ist eben diese Strong Independent Women, die sich allein behauptet. Die, in deren Zukunftsvision die Frage nach Bindung mit einem Achselzucken beantwortet wird: Keine Ahnung, ob ich das kann. Woher kommt diese Einstellung und ist das Ideal der Strong Independent Women letztendlich gar kein Empowerment, sondern angelernte Selbstsabotage?

Gegensätzliche Stereotypen: Selbstverwirklichung oder Partner:innenwunsch?

Ganz schön verzwickt die Sache. Eigentlich ist das Konzept der Partner:innensuche ein relativ nüchternes und biologisches Vorgehen. Aber auf der anderen Seite will man sich mittlerweile auch nicht mehr mit „der oder dem nächstbesten“ zufriedengeben und wartet auf das ganz große Ding. Doch in der Zwischenzeit darf man als Wahl-Single aber auch nicht mehr vom Kurs abweichen. Denn man hat sich ja dazu entschieden, „dieser selbstbewusste, charismatische Single zu sein, der wirklich richtig gut allein klarkommt“. So hat es Antonia in ihrer Kolumne „Die starke Single Frau und der Wunsch nach Bindung“ bereits gut auf den Punkt gebracht.

Und ja, parallel dazu existieren in jedem von uns Bedürfnisse, die durchaus legitim sind. Wie zum Beispiel sich dafür zu entscheiden, erstmal alleine zu sein und dennoch jemanden bei sich haben zu wollen. Doch genau das scheint sich oft zu revidieren. Mal davon abgesehen, dass niemand Lust hat auf einen ‚Bare-Minimum-Mann‘ oder wie Amelie so treffend schrieb: „Hört bitte auf mittelmäßige Männer zu daten„.

Schuld an dem ganzen Dilemma zwischen Unabhängigkeit und Bindung ist die toxische Wechselwirkung eines uns allseits bekannten Stereotyps: dem der Strong Independent Woman. Dieser ist nämlich einerseits dazu geschaffen, um zu empowern, scheint aber mittlerweile auch zu einem toxischen Vorbild geworden zu sein. Einem, dass uns ganz gezielt in eine bestimmte Ecke drängt. Ein Ideal, mit dem wir uns am Ende nicht mehr nur identifizieren, sondern selbst sabotieren können.

I am a strong independent woman who don‘t need no man bis ich eine Tüte ohne Schere aufmachen muss

— Fatima (she/her) (@njoyalatte) April 20, 2022

Mindgames: Vom Manifestieren der Strong Independent Woman

Der Prozess, der uns unbewusst mehr beeinflusst als wir denken, nennt sich Manifestieren. Die Kunst davon, Dinge zu visualisieren und sie durch kontinuierliches Verinnerlichen zur Wirklichkeit werden zu lassen. Aktuell ein großer Trend, der von Yoga bis TikTok die unterschiedlichsten Menschen fesselt. Brechen wir das Konzept herunter, setzen sich also bestimmte Glaubenssätze in unseren Gedanken fest, die unser zukünftiges Handeln beeinflussen können. Die Strong Independent Woman findet demnach also in unserer Mindset-Ebene statt und kann die Offenheit gegenüber neuen Bekanntschaften oder Beziehungen sabotieren. Denn wir machen ihre Eigenschaften immer mehr zu unseren und lassen den Stereotyp langsam zu einem festen Teil unserer Persönlichkeit werden. Da man als glücklicher Single nur die Wahl hat, dem Stereotyp der Strong Independent Women zu entsprechen. Und wer möchte nicht lieber diese selbstbewusste und unerschrockene Person sein, als zuzugeben, sich einsam zu fühlen und sich eine Partner:innenschaft zu wünschen?

Während wir also fast dogmatisch das Mantra von ‚ich bin mir selbst genug‘ aka „You are a strong independent woman who don’t need no man“ herunterbeten, programmieren wir unser Gehirn kontinuierlich in eine bestimmte Richtung. Sind gesteuert von dem Ideal, in keinem Abhängigkeitsverhältnis stehen zu wollen und in jeder Situation auf Unabhängigkeit zu beharren. Fast so als würde davon die Welt oder unsere gesamte Integrität abhängen. Und natürlich ist diese Form der Selbständigkeit gut und wichtig. Aber setzen wir uns dadurch nicht womöglich toxischen Mustern aus? Und daten zum Beispiel Partner:innen, von denen wir ganz genau wissen: Das kann gar keine Zukunft haben? Zudem sind wir, dank vieler abschreckender Paradebeispiele – von Teenie Müttern bis zu skandalösen Affären –, mit denen uns im Sinne der Gleichberechtigung Unabhängigkeit eingebläut wird, 2022 bestens darauf trainiert, allein leben zu können. Selbstverwirklicht und ohne Partner:innenschaft – strong und independent eben.

Historische Relikte: Paint me like one of YOUR Girls

Doch das war eben nicht immer so und vielleicht liegt es an der so gar nicht freien Vergangenheit, dass es uns heute in genau diese unabhängige Richtung zieht. Denn betrachten wir die gesellschaftliche Geschichte des weiblichen Geschlechts, dann existierte der Freigeist lange nur in Büchern von Autorinnen wie Charlotte Brontë, die im 19. Jahrhundert bereits das viktorianische Stereotyp der Weiblichkeit und traditionelle Geschlechterdynamiken infrage stellte. Wie ihre Romanheldin Jane Eyre bereits ganz richtig erkannte: Wir sind keine Vögel, die von Netzen umschlossen werden, sondern freie Menschen mit unabhängigem Willen. Und die einzigen Stricke, die uns aufhalten, sind Konstrukte der Gesellschaft. Oder auch Relikte vergangener Tage, die immer noch nicht aufgeräumt worden sind. Es seien immer noch vor allem die physische Attribute entscheidend dafür, als was man gesehen wird. Fast so, als wäre man in einem Gemälde verewigt worden – ohne Geist und Stimme.

So bildet die Romanheldin einen Gegenpart, ist schlau, aber kann deshalb nicht wirklich an den Mann gebracht werden. Dadurch ist sie automatisch gezwungen, sich besonders geistreich zu verhalten, um so eine Art absurden Mangel auszugleichen – den der Schönheit. Dem Typus der Strong Independent Woman wird ebenfalls nachgesagt, die Selbstverwirklichung über das ‚jemandem gefallen wollen‘ zu setzen. Und über romantische Bindungen. Eine sehr einseitige Sichtweise, bei der Frau eigentlich nur verlieren kann – oder eben nicht mehrdimensional existieren. Da sie immer nur eines sein kann, schön oder schlau, in Beziehungsrollen gebunden oder geistreich, gefangen in traditionellen Mustern oder frei und unabhängig. Menschen und Gesellschaften denken gerne in Rastern. Wer also auch heute noch als Frau zu unabhängig scheint, wird unterbewusst oft in die Kategorie unbequem und unvermittelbar gesteckt.

 

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Die Strong Independent Woman, das Anti-Klischee der begehrenswerten Frau

Was machen die Klischees und Schubladen also mit dem eigenen Selbstbild? Denn wer sich nicht dafür entscheidet, die zugestandene Rolle anzunehmen, der muss sie sich selbst suchen. Oder bekommt einfach einen Lebenssinn zugeordnet. Beides führt dazu, dass man aneckt. Ein Störfaktor ist, der abseits von Vorstellungen existiert und dadurch unabhängig ist. Ganz klassisch, Feminist:innen eben und die kann eh kEiNeR leiden. Hinzu kommt, wer unabhängig sein möchte, entspricht automatisch keinem romantischen Klischee einer begehrenswerten Frau. Was uns wieder zurück an den Anfang führt. Steht uns die eigene Unabhängigkeit und der Drang, diese Strong Independent Women zu sein, im Weg? Denn früher oder später kommt man immer an ungeschriebene Grenzen, die einen vor Entscheidungen stellen mit Fragen wie: Wie weit würdest du für deine Träume und Wünsche – für deine Unabhängigkeit gehen? An welcher Stelle bedeutet die Unabhängigkeit einen Verzicht oder nur einen Kompromiss, ein Adjustieren der eigenen Erwartungen?

„Aber du kannst doch alles haben“, so hallt dann diese eine Satz der Unterhaltung in meinem Kopf, von dem ich immer noch nicht überzeugt bin. Vielleicht geht es euch anders, aber ich habe bisher nicht unbedingt das Gefühl dieses ‚alles‘ haben zu können. Vor allem, wenn es um die Berufswelt geht, in der Frauen immer auf Kinderwünsche oder Hochzeitspläne angesprochen werden, die tatsächliche Vereinbarkeit ist nochmal ein anderes Thema. Mal ganz davon abgesehen, dass trotz Gleichberechtigung gewisse gesellschaftliche Erwartungen existieren, die meist eher dem weiblichen Part zugeschrieben werden. Und irgendwie fühlt man sich dann doch wieder gefangen in einem unsichtbaren Netz wie besagter Vogel. Aus welchem man heraus sein Single-Sein mit der Strong Independent Women rechtfertigen muss – obwohl es da nicht zu rechtfertigen gibt. Doch sobald man ihren Namen einmal in den Mund genommen hat oder er einem zugesprochen wurde, gibt es kein Zurück. Zumindest nicht so schnell.

Und ja, vielleicht sabotieren wir uns durch die Annahme der Rolle ein wenig selbst – in einer Art störrischer Hyper-Unabhängigkeit. Aber immerhin weiß man damit sich selbst zu genügen, keine ungewollten Kompromisse einzugehen und sich selbst treu zu bleiben. Das ist meines Erachtens das Wichtigste – auch in einer Partner:innenschaft.

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