Das Buch als Magazin

29. Oktober 2013 von in

Die Ausstellung Paper Weight im Haus der Kunst ist gerade ausgelaufen, das Thema der außergewöhnlich guten Printmagazine im Kontrast zur schnellen Onlinewelt dreht sich immernoch in meinem Kopf. Print ist nicht tot, sondern Print kann zur Kunst werden, zum journalistischen Luxusartikel, zum exquisiten Lesegenuss.

Ein Magazin, was vergangene Woche in meinem Briefkasten lag und mich innerhalb der ersten fünf Sekunden überzeugte, ist Das Buch als Magazin, gegründet von Peter Wagner und jetzt-Magazin-Art-Directorin Joanna Swistowski. Wie der Name sagt, wird darin ein Literaturklassiker aufgegriffen, in der ersten Ausgabe war es Kafkas Verwandlung, in der zweiten ist es nun Woyzeck. Im ersten Teil des Magazines ist das Originalwerk abgedruckt, gelayoutet auf höchstem Niveau. Den zweiten Teil bilden popkulturelle Texte und Fotostrecken von heute, die sich auf das Literaturwerk beziehen, es in die Gegenwart transportieren und die zeitlosen Kernthemen aufgreifen.

Bei Woyzeck sind diese Themen Sex und Mord, psychische Krankheiten, Liebe und Tod und Außenseiter/Unterschichtenrollen in der Gesellschaft. Dass die Themen und menschlichen Abgründe aus Klassikern der Literaturgeschichte nie an Aktualität verlieren, ist nichts Neues. Sie aber mit spezifischen und ausgesuchten Phänomenen unserer Zeit wieder aufzugreifen schon. So erzählt eine Gesprächsrunde deutscher Frauen, deren amerikanische Ehemänner in der Army und somit im Irak stationiert sind, wie nahe Liebe, Todesangst und Traumata zusammenliegen können. In einem mehrseitigen Interview erklärt eine Hirnforscherin und Psychiaterin die Entstehung von psychischen Krankheiten und Schizophrenie und ihre Sicht auf unsere Gesellschaft. Und Max Scharnigg (von dessen Schreibstil ich schon lange ein großer Fan bin) stellt fest, wie sehr wir die Welt in unten und oben einteilen. Das sind noch lange nicht alle Texte der Ausgabe, und daneben sind die Fotostrecken nicht weniger erwähnenswert – die fotografische Untermalung des Woyzeck-Orginialtexts wird beispielsweise ergänzt durch eine Fotostrecke von Emma Kisiel, die tote Tiere mit Blumenkränzen einrahmt und auf eine neue Ebene hebt. Die Ausgabe endet schließlich mit einer erdachten Woyzeck-Fortsetzung von Andrea Maria Schenkel.

Nicht nur die Mitarbeiter, auch das gesamte Konzept des Magazins verspricht nur Gutes, und genauso ist auch das Ergebnis. Es macht nicht nur Lust auf vielleicht längst in der Schulzeit vergessene Literaturklassiker, sondern bringt diese Erkenntnismomente durch die weiterführenden Essays, Kommentare und Fotostrecken, die man erlebt, wenn man ein literarisches Werk durchdringt. Ich bin ganz hin und weg und freue mich schon auf die nächste Ausgabe. Bestellen kann man Das Buch als Magazin, das zweimal im Jahr erscheint, direkt hier für 12 Euro, und das Geld lohnt sich definitiv.

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13 Antworten zu “Das Buch als Magazin”

  1. Wow, vielen Dank für diesen großartigen Tipp. Ich studiere Germanistik und liebe dementsprechend Literatur und bin immer wieder fasziniert von aktuellen Rezeptionen.
    Danke!

  2. Das klingt wahnsinnig interessant, ich habe eben schon bestellt :)
    Ist das Originalwerk denn ungekürzt oder nur in Ausschnitten drin? Ich freu mich auf jeden Fall, danke für den Tip!

  3. Ich habe während meiner Schulzeit eine unglaubliche Hassliebe zu diesem Stück entwickelt, dass ich es seit meinem Abitur schon in diversen Aufführungen gesehen habe. Und jetzt auch noch als Magazin! Ich bin hin und weg!

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