Kolumne: Zuletzt online um 05:37

12. Oktober 2014 von in

Mit 14 habe ich mir Whatsapp gewünscht. Natürlich konnte ich mir noch nicht mal ansatzweise vorstellen, dass jemals Smartphones oder Apps existieren würden, aber jedes Mal, wenn ich wieder weg vom PC musste oder verzweifelt SMS auf 160 Zeichen kürzte, um keine 40 statt 20 Cent zahlen zu müssen, dachte ich mir: Wie toll wäre das bitte: endlos chatten, ICQ und MSN immer dabei? Chatten war damals definitiv mein absolutes Hobby, und ich kann mich heute noch an die geekhafte Freude erinnern, die mich durchströmte, als ich endlich meine eigene ICQ-Nummer hatte. Von ICQ ging es später zu MSN, dann zu Skype und zu Facebook, und dann kam Whatsapp.

Heute geht es mir wie so vielen, Whatsapp ist nicht mehr wegzudenken und ich verbringe keinen normalen Tag, ohne herumzuchatten, lustige Bilder zu verschicken und vor allem immer wieder das Handy zu checken. Man ist schließlich mit denen, die einem wichtig sind in einer ständigen Verbindung und dann gibt es noch diese besonderen Nachrichten, die einen ganz aufgeregt machen. Hat man eine Weile nicht aufs Handy geschaut, wartet immer eine Hand voll grüner Nachrichten und diese intuitive Neugierde, wer da jetzt wohl was zu sagen hat, wird ständig befriedigt und angeheizt. Ja, ohne chatten geht es nicht mehr, das ist ganz klar. Aber dass Whatsapp einen ziemlich schnell wahnsinnig machen kann, das stellt man spätestens dann fest, wenn man mal gezwungenermaßen offline ist.

Nach einer Woche internetlosem Urlaub war ich vor ein paar Monaten so unglaublich entspannt wie nach keinem anderen Urlaub, und der Grund war, dass ich eine Woche lang kein Whatsapp benutzt hatte. Der Zustand, keine Nachrichten zu erwarten und auch keine beantworten zu müssen war so wahnsinnig ungewohnt, wie auf einer weichen Wolke über der Steinzeit zu schweben. Auf einmal lag das Handy irgendwo herum und absolut niemand konnte sehen, wann ich es zuletzt in der Hand gehalten hatte. Kaum war ich wieder zu Hause, war ich aber natürlich auch wieder online und merkte zum ersten Mal so richtig, wie extrem man sich eigentlich gegenseitig mit Whatsapp unter Kontrolle hat.

Man kann von jedem einzelnen Freund abchecken, wann er zuletzt ins Handy getippt hat. Und weil wir es alle ständig tun, kann man dadurch sehen, wann jemand noch wach ist, wann jemand schon wieder wach ist, wie lange jemand feiern war. Zuletzt online um 23:59, zuletzt online um 08:10, zuletzt online um 05:37. Und weil wir es können, registrieren wir diese Info, wenn wir jemandem schreiben, oder gucken sogar nach. Die gegenseitige Kontrolle kennt mit Whatsapp keine Grenzen mehr, aber was daran ist ein positiver Mehrwert?

Tatsächlich bringen die zuletzt-online-Infos nur schlechte Laune. Wenn ein Gespräch gerade läuft, läuft es. Wenn ein Gespräch beendet ist, ist es beendet, auch wenn man gleichzeitig für andere Gespräche noch online ist. Wenn ich sofort antworten will, wenn ich eine Nachricht lese, tue ich das auch. Wenn ich gerade keine Zeit oder einfach keine Lust habe, tue ich es nicht, aber wenn ich dazwischen online war, und der andere das sehen kann, gibt das ein hässliches Gefühl. Auch, wenn überhaupt nichts dahintersteckt.

Zuletzt-online-Anzeigen eröffnen Spielräume für Interpretationen, Anschuldigungen, Enttäuschungen. Aber mir fällt kein einzig guter Nutzen ein, außer die Befriedigung des Kontrollzwanges. Es reicht, dass man jeden jederzeit googlen kann, dass man auf Facebook sieht, wer was liked oder wer wo verlinkt wurde. Wir müssen nicht auch noch sehen, wann jeder unserer Freunde ins Bett gegangen oder zuletzt ins Handy getippt hat. Chatten ist schön und macht Spaß, aber am allerschönsten ist es, wenn es freiwillig und ohne gegenseitige Kontrolle stattfindet. Und wenn man sich selbst die Freiheit nehmen kann, das Handy wieder wegzulegen, wenn man eine Nachricht gelesen hat. Zu antworten, wann man will. Zu schreiben, unabhängig, wann der andere online war. Weil es einfach darum gehen sollte: miteinander zu kommunizieren.

Seit zwei Monaten habe ich die zuletzt-online-Anzeige ausgestellt und es kein einziges Mal vermisst oder bereut. Auch schonmal darüber nachgedacht?

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22 Antworten zu “Kolumne: Zuletzt online um 05:37”

  1. kaum dass ich wusste, dass es geht, war’s schon abgeschaltet. alle haben sich mittlerweile daran gewöhnt. wer sich sorgen machte – was zu beginn WIRKLICH vorkam – hat dann was ganz irres gemacht – einfach mal angerufen!

  2. Das wirklich einzige Mal, als ich diese Funktion sinnvoll fand, war als ein Freund von mir aus dem Libanon seine Sorge um seine syrische Cousine, die er nicht erreichen konnte, dann damit beruhigt hat, dass sie kuerzlich auf Whatsapp war. Ansonsten scheint es mir als Nicht-Nutzer immer hochgradig stressend!

  3. Du sprichst mir wahrhaftig aus der Seele. Ich hatte die gleiche Erfahrung in meinem Urlaub gemacht und hatte regelrecht Angst wieder online zu sein. Es ist meiner Meinung nach auch unnötiger Alltagsstress !

  4. Danke für den tollen Artikel und auch für die Info! Hab mich auch schon einige male dabei erwischt wie ich mit patziger Miene auf die zuletzt-online-Anzeige von anderen gucke und mich ein bisschen ärgere, warum ich noch keine Antwort bekommen habe – eigentlich völliger quatsch!!! Jetzt ist es ausgestellt, der nächste Schritt wäre vielleicht die App ganz zu löschen … mal gucken! :-)

  5. In der Maxi gab es einen ähnlichen Artikel zum Thema „Unterschiedliches Lese- und Schreibverhalten von Männern und Frauen im What’s App“, man spart sich auf jeden Fall ne Menge Stress und Nerven wenn man diese Funktion abstellt

  6. Ich bin erst seit vergangener Woche Besitzerin eines Smartphones. Das habe ich mir zum größten Teil nur angeschafft weil ich das Gefühl hatte, ohne Whattsapp außen vor zu sein… Das erste, was ich nach runterladen der App gemacht habe war die „zuletzt online“-Anzeige auszustellen! So finde ich es wesentlich entspannter und dein Satz „Weil es einfach darum gehen sollte: miteinander zu kommunizieren“ brint es wunderbar auf den Punkt!

  7. Toller Text. Ich hab die Zuletzt Online Funktion auch ausgeschaltet. Irgendwann waren so Sprüche wie „Aber du warst doch online“ nur noch nervend. Und ja, es hat echt gestresst!

  8. Der Artikel ist wirklich toll geschrieben und trifft genau das, was mir auch immer durch den Kopf geht. Ich habe die Zuletzt online-Anzeige schon seit längerem ausgeschaltet. Noch besser wäre die Möglichkeit auch die Häkchen und die online und schreibt… Anzeige auszuschalten, die ähnlichen Zwang erzeugen.
    Viele Grüße Alla

  9. Ich habe diese Funktion auch schon seit 4 Monaten ausgeschaltet. Ich sehe nicht, wann jemand zuletzt online war und niemand sieht es bei mir. Es nimmt eine ganze Menge des von dir benannten „Kontrollzwangs“ weg und es ist herrlich! Mich interessiert nicht, ob meine Nachricht bereits gelesen und nicht beantwortet ist oder ob sie noch gar nicht gelesen wurde. Wenn mein Gegenüber es möchte wird er sich schon melden. Oder an mich denken, auf sein Handy schauen und mir antworten – oder eben nicht!
    Ich habe seit einiger Zeit auch komplett die Vibation und Töne meines Handys abgestellt. Es geht nur noch das Display an, wenn ich eine Nachricht erhalte. Das entspannt mich noch mehr! So bin ich nicht „gezwungen“ drauf zu sehen, wenn es vibriert, sondern kann selbst bestimmen wann mir danach ist meine Nachrichten zu checken. AUsgangspunkt dafür war eigentlich, dass es mich wahnsinnig gemacht hat, wenn jemand einen Text in 5 Teile reißt, dafür auch 5 Nachrichten schickt, und mein Handy ununterbrochen klingelt oder vibriert. Solche Nachrichten regen mich nun auch nicht mehr auf :D

  10. Da bin ich doch einmal mehr froh, dass ich ein WhatsApp-freies Leben führe. :D Hatte die App vor ungefähr einem Jahr nur mal kurz ausprobiert und war schon in dieser kurzen Zeit extrem genervt davon, wie viele Leute mich angeschrieben haben, um GLEICH eine Antwort zu erwarten. Wtf…
    Witzigerweise fuhr ich neulich zu einem Forentreffen und erntete überraschte Blicke: „Ach was, ich hatte je gedacht, dass du viiiieeel älter bist [als 27], weil du ja kein WhatsApp hast…“ :D

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