Über Misogynie und den Hass gegen Influencerinnen
Dass ich mal einen Text schreiben würde, in dem ich Influencerinnen in Schutz nehme, habe ich lange Zeit nicht kommen sehen. Eigentlich stand ich schon seit Anbeginn des Internets all jenen Menschen skeptisch gegenüber, die die digitale Bühne primär zur Selbstdarstellung genutzt haben und so zu einer Marke wurden, mit der sie Profit machen können. Erst waren es die besonders begehrten MySpace-Scenegirls, dann Blogspot-Fashionbloggers (nachträglich sorry an meine Amazed-Kolleginnen) – und dann eben die Instagram-Influencerinnen. Es hat doch einige Jahre gedauert, bis mir auffiel, was all diese Gruppen gemeinsam haben – abgesehen von ihrer digitalen Präsenz. Sie sind alle Frauen.
Und ich fing an, mich zu fragen: Ist das wieder dieser antrainierte Frauenhass, den ich mir eigentlich längst abgewöhnt haben wollte?
Influencerinnen sind abgehoben, faul, profitgierig und selbstverliebt. Diesen Satz kann man getrost laut sagen, denn ein ziemlich großer Teil der Gesellschaft empfindet das als zutreffend. Um das zu erkennen, braucht man bloß kurz in die Kommentarspalten schauen, wann auch immer von Influencerinnen die Rede ist. Oder man schaltet mal das Fernsehen ein.
TV-Clown Oliver Pocher beispielsweise hat aus diesem Hass gegen Influencerinnen erst ein Hobby, dann ein Geschäftsmodell gemacht. Auf seinem Instagram-Account zieht er regelmäßig vor zwei Millionen Followern über Influencerinnen her – vor wenigen Tagen erst machte er sich über die Schönheits-OP von Bianca Claßen, besser bekannt als Bibis Beauty Palace, lustig. Und warf ihr vor, ihre Operation als Businessmodell zu nutzen. Wohlgemerkt, während er es selbst als Businessmodell nutzte, sie öffentlich anzugehen. Dass er dabei auch gern mal übergriffig wird, hat er auch schon in der Vergangenheit bewiesen: Er droht („Danach wirst du dir wünschen, dass es dieses Video nie gegeben hat“) oder beschimpft („diese Influencer-Voll-Fick-Scheiß-Trottel“) die Frauen, bezeichnet sie als „Bumsbirnen“ und beleidigt sie wegen ihres Aussehens. Er outete die Sexarbeit einer Frau und postete ein altes, freizügiges Video einer anderen.
Diese Veröffentlichung privater Daten nennt man auch Doxing – eine gängige Praktik im rechten Milieu, die sich an der Grenze zur Illegalität bewegt. Die Frauen, die sich danach öffentlich unter dem Hashtag #LöschDichPocher gegen ihn aussprachen, erhielten Beleidigungen, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Und anstatt ihm Einhalt zu gebieten wird Pocher von seinem Arbeitgeber RTL sogar noch mit einem eigenen TV-Format belohnt: In „Pocher vs. Influencer“ tritt er in Challenges gegen bekannte Instagram- oder TikTok-Größen an. Ironischerweise gegen viele, die weniger Follower haben als er selbst. Die erste Sendung wird noch diese Woche ausgestrahlt.
Der Hass gegen Influencerinnen ist also gesellschaftsfähig genug, dass er in der Primetime im Fernsehen keine Irritation auslöst.
Dass fadenscheinige Methoden wie Doxing als eine Art von Entertainment akzeptiert werden und dass das, was sonst Mobbing genannt wird, als Gesellschaftskritik gefeiert wird. Wie kann das sein? Was macht Influencerinnen dermaßen angreifbar und den Hass gegen sie so akzeptiert?
Versteht mich nicht falsch. Am Konzept „Influencing“ gibt es viele, sehr nachvollziehbare Kritikpunkte. Ja, Influencerinnen verdienen oft an einem starren und oberflächlichen Schönheitsideal. Sie arbeiten sich an einem neoliberalen Aufstiegsmythos ab, verkaufen eine ideale Version von sich, wollen junge Menschen zu Konsum bewegen und profitieren von den Unsicherheiten der Menschen. All das ist kritikwürdig. Aber all das trifft auch auf jeden männlichen Influencer, auf jeden Fitness-Guru auf Social Media zu. Es trifft auf einen Prominenten zu, der Markenbotschafter für Parfum wird. Es trifft auf jeden Profifußballer zu, der einen Instagram-Account hat und ab und zu Werbung macht. Und es trifft auf jeden Menschen zu, der in der Werbebranche arbeitet.
Der Hass gegen Influencerinnen hat wenig mit ihrer bloßen Tätigkeit zu tun. Es geht darum, dass es sich um Frauen handelt, die selbstständig eine große Followerschaft aufbauen und so ihr eigenes Geld verdienen – viel Geld noch dazu.
Es geht auch darum, dass diese Frauen dabei die gängigen Regeln missachten und sich nicht mühsam durch eine definierte Struktur kämpfen. Der Beruf der Influencerin ist neben dem des Profifußballers einer der wenigen, bei denen sich das Versprechen des kometenhaften Aufstiegs im Kapitalismus noch bewahrheiten kann. Macht man es richtig, kann man schnell reich und berühmt werden.
Im Gegensatz zum Profifußballer wird die Arbeit von Influencerinnen aber nicht als echte Arbeit gesehen, denn Schminken und in eine Kamera sprechen „kann ja jede“. Dass der Beruf mit einem enormen Druck einhergeht und sehr viel Geschick und Disziplin erfordert, bleibt für viele unvorstellbar. Und trotzdem weiß eine erfolgreiche Influencerin mehr über Social Media, als man es in allen Marketingschulungen der Welt lernen könnte.
Es gilt also, aufzupassen, wann immer Menschen schlecht über Influencerinnen sprechen. Es muss gar nicht so plump daherkommen wie bei Oliver Pocher. Denn der Hass gegen Influencerinnen ist auch in scheinbar aufgeklärten und sogar in sehr linken Kreisen akzeptiert und gängig. Und während Konsumkritik wichtig ist – auch beim Thema Social Media – muss man wachsam sein, in welchen Momenten sie nicht bloß vorgeschoben wird, um etwas anderes zu verdecken. Wenn sich jemand nur dann zu einer Konsumkritik hinreißen lässt, wenn diese sich gegen erfolgreiche Frauen wie Influencerinnen richtet, dann ist das keine Konsumkritik. Dann ist das unter Konsumkritik verscharrter Frauenhass.
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3 Antworten zu “Über Misogynie und den Hass gegen Influencerinnen”
Was Oliver Pocher regelmäßig von sich gibt, finde ich auch sehr problematisch und kann absolut nicht verstehen, dass er damit Erfolg hat. Der Mann ist 40 Jahre alt und führt sich auf wie ein wildgewordener Teenager in der schlimmsten Pupertät.
Danke für diesen differenzierten und ausgewogenen Text! Ich frage mich immer, was Menschen dazu bewegt, derart primitiv über die Lebensentwürfe anderer herzuziehen. Spricht da vielleicht auch der Neid, dass sich jemand eines cleveren (wenn auch diskussionswürdigen) Geschäftsmodells bedient hat? Und last but not least: was wäre Pocher ohne die Influencer? Der Typ lebt quasi davon, andere öffentlich fertig zu machen.
[…] von internalisierter Misogynie ist hier die Rede. Jowa schrieb letztens bereits einen tollen Text darüber, was die Ablehnung von Influencerinnen mit Frauenhass […]