Gorpcore: Outdoor-Babes und funktionale Fashion, darum lieben alle Outdoormode!

15. Mai 2024 von in
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Arc’teryx, Salomon, Goretex und Co. Alles Wörter, die vor ein paar Jahren eher einer bestimmten Nische zugeordnet worden wären, mittlerweile sind sie allen ein Begriff. Man kann fast behaupten: Alle, die sich fashionmäßig in Streetstyle-Nähe verorten, haben sie in ihren Grund-Jargon aufgenommen. Erkennen die Zeichen, Qualitätsmerkmale und Stoffe aus dem FF. Auch ich kann mich dem Wissen um die Outdoorästhetik nicht entziehen. Finde sie plötzlich bemerkenswert lässig und irgendwie cute. Habe mich vom Anti-Pragmatismus hin zu einer Gorpcore-Maus entwickelt, die Praktikabilität gezielt in den eigenen Style streut. Subtil. Ganz am Rande. Aber ja, auch ich besitze ein The North Face Fleece und habe mit dem Gedanken gespielt, mir ein Paar der extrem geyhpten Salomon Sneakers zuzulegen. Weniger aus Wanderlust, mehr aus Fashion-Gründen. Wieso auch sonst sollte ich anderen beim ersten kennenlernen, als Ausschlusskriterium, die (berechtige) Frage stellen: „Ist das so dein Ding (der Outdoor-Vibe) oder trägst du das aus modischem Interesse?“

 

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Arc’teryx, Salomon, Goretex und Co. – Alle lieben Outdoor-Optik

Es ist fast schon komisch. Auf der einen Seite verfluche ich jegliche Form der Outdoor-Aktivität, aber für den Look würde ich mir mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit eine vollständige Ausrüstung zulegen. Denn alles, was man im Leben (als Fashionista) so macht, ist nur so gut wie seine Optik. Klar, dass sich da Hobbys mit feschen Uniformen und Dresscodes wie geschnitten Brot verkaufen. Aber auch so habe ich über die letzten Jahre eine immer größere Affinität für das Thema entwickelt, datete in einer fast überhandnehmenden Regelmäßigkeit männliche Exemplare der Gruppe Outdoor-Boy. Völlig unpassend. EIgentlich…

Jedoch von Algorithmen bewiesen ein perfect Match. Dennoch bleibt mein bisher größter Albtraum, mich von einem dieser überaktiven Dating-Partner zu einem ersten Treffen in der Natur überreden zu lassen. Schlimmer noch einen Trail-Hike machen zu müssen. Denn ich weiß selbst genau, wie schnell ich mich „just for the sake of it“ hineinquatschen lassen würde – mit dem Wissen, dass mein Durchhaltevermögen viel kann, aber nicht dafür konditioniert ist! Das Outdoorlife und ich passen zwar optisch zusammen, doch allzu viel Potential für eine langfristige Bindung sehe ich hier nicht. Vielleicht ja im nächsten Leben.

He was a Outdoorboy. I was just a ‚I wear it for the looks’-Gorpocore-Girl

Aber es nützt ja nichts. Und so kam es, dass ich 2020 eins meiner schönsten Dates im Freien hatte: Wandern im Schnee. Für mich der erste in dem Jahr. Wahnsinnsaussicht und zum Abschluss ein phänomenaler Sonnenuntergang. Magisch. Krass saturiert. Ach, hätte ich damals schon mehr Outdoor-Pieces besessen, denke ich mir im Nachhinein. Doch: He was a Outdoorboy. I was just a ‚I wear it for the looks’ Gorpocore-Girl. Und als richtiges Großstadt-Klischee kam ich mit einem Jutebeutel zum Ausflug. Wanderte in Jeans und Winterboots. Meine Jacke das einzige Kleidungsstück, was man als Outdoor hätte bezeichnen können.

Doch man entwickelt sich und mittlerweile trage ich nicht nur gerne den Look, sondern habe auch meine erste Ablehnung gegen die Aktivität überwunden. Gehe (offen) gerne lange in der Natur spazieren. Auch wenn ich parallel dazu meinen hart erarbeiteten Ruf der Outdoor-Hasserin weiterhin hochhalte. Nicht das hier noch jemand auf falsche Gedanken kommt. Doch zurück zur Mode, denn das Phänomen Outdoor und High Function scheint seit 2017 ein ununterbrochener Hype zu sein. Beschäftigt von Runway bis TikTok eine breite Masse an Menschen. Selbst die Rapper haben die Outdoor-Kluften in ihre Lines aufgenommen und zum Popkultur-Produkt deklariert: „Rap in der North Face fühle mich fit“ (nikan). North Face warm, mein Herz eiskalt (t-low). Augenringe schwarz wie meine North Face Jacke (kiki).

Gorpcore What?!

Mittlerweile zählt der Hashtag #Gorpcore auf TikTok rund 1,7 Milliarden Aufrufe – stetig steigend. Und obwohl es den Trend bereits seit den 2010ern in der Nische gibt, erreichte er in Deutschland laut Google Trends-Suchinteresse seinen Peak erst im März 2023. Doch was bedeutet Gorpcore eigentlich? Der Begriff, der von dem Ausdruck „good `ol raisins and peanuts“ abgeleitet wird, beschreibt laut dem Urban Dictionary folgendes „Modedesign, das vom Outdoor-Stil beeinflusst ist, wie z. B. Fleecejacken, Gürteltaschen, Windjacken, Puffjacken, Parkas und Wanderschuhe“. Besonders im Streetstyle setzte man bereits in den 2010ern auf die techy Einflüsse.

Hier kann als treibende Kraft, die für die Faszination Outdoor die Männermode gesehen werden. Dort liebäugelte man schon länger mit Sportlichkeit und Funktionalität. Doch neu war nun die Liebe fürs Detail und ausgeklügelte Designelemente, die über Praktikabilität hinausgingen. „Die Ironie ist, dass die meisten Leute, die Gorpcore tragen, nie campen gehen werden“, so die urbane Definition weiter. Dennoch ist der Trend ein Mekka für unkompromislose. Die, die alles wollen. Stil und Funktion. Großstadt und den Ruf der Wildnis. Langlebigkeit und die Unbeständigkeit der immer schneller rasenden Trendzyklen.

Outdoorlove heißt in der Mode: „fake it but do not actually make it“

Doch statt “Survival of the fittest” heißt es “Survival of the fashionable-est”. Das Schlüsselwort ist urban Utility, die mimikrymäßig zwar dem Genre Outdoor zugeordnet werden möchte, sich jedoch auch klar davon abgrenzen will. Das Motto ist „fake it but don not actually make it“. Ihr seht, wieso ich mich in diesem Trend unheimlich aufgehoben gefühlt habe. Gorpcore lädt gerade dazu ein, sich neu zu erfinden, ohne die eigene Comfortzone zu verlassen. Ist ein weiterer „Core“-Trend, der im Kern nur ein Ziel Verfolgt – Eskapismus. Einer, der dazu führt, dass plötzlich eine Riege an eingefleischten Outdoor-OGs von modischen Outsidern zu echten Trendsettern wurden. Sich mit Jack Wolfskin Jacken in der Fashion-Mitte wiederfanden.

Neben den Jacken und Accessoires wurden auch alteingesessene Produkte wie Birkenstock, Teva und Barfußschuhe aus der Nische geholt. Vor allem Erstere konnten sich 2021 durch eine geschickt eingetütete Übernahme durch den Luxusgüterkonzern LVMH eine Position unter den Big Playern sichern. Birkin und Birkenstock liegen mittlerweile nah aneinander. Wer hätte das gedacht? Im praktisch orientierten Streetstyle funktioniert fast alles – Funktions-Fleece zu Baggy Pants. Half-Zip-Jacken zu Anzughosen. Windbreaker zum Maxirock und Wanderschuhe als Sneakers-Alternative.

 

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Function follows Form

Da liegt der Blick zu den Skandinavierinnen nahe, die es mit einer Selbstverständlichkeit verstehen, genau diese Stilbrüche zu erzeugen. Derbe mit verspielt kombinieren und vormachen, dass sich Praktikabilität und Exzentrik nicht ausschließen müssen. Sogar ziemlich gut zusammen funktionieren. Tonangebend dafür waren sicherlich auch die geschickten Schachzüge der Designer:innen, die schon früh die Tendenzen der Streetstyle-Icons erkannt und umgesetzt haben. Einige auch aus ihrer eigenen Vita inspiriert. Denn die Regenjacke, der Windbreaker oder Wanderschuh sind solide, kennen keine Klasse und sind ausnahmslos nützliche Produkte, die wirklich alle besitzen können. Unabhängig davon, ob man sie nun gerne trägt oder eher als unvermeidbar ansieht.

So kam es also dazu, dass völlig gegensätzliche Cluster und Segmente auf einmal ihre Gemeinsamkeiten entdeckten. Das exzentrische Gucci mit dem naturverbundenen The North Face kollaborierte. Reformation mit Canada Goose und auch auf den Laufstegen sah man bei Miu Miu, Prada und Co. immer mehr Outdoor-Staples. Das Patagonia-Fleece wurde zum Synonym modebewusster Streetstyle-Icons. Und der Salomon XT-6 der gefragteste Sneakers schlechthin. Selbst Fashion–Icon Rihanna trug ein Modell und sorgte für noch mehr Hype.

Gorpcore, die neue Konstante

Gorpcore besitzt die Macht Kleidungsstücke, die ehemals als „unschön“ oder wenig gefragt galten, sich durch ihre unsichtbare Alltäglichkeit profiliert haben, zu einem Hype zu machen. Erinnert euch daran, wie wenig cool es damals war, als Eltern einem gut gemeint die Wind- und Wetter-Jacke andrehen wollten. In ihren Augen war das unbequem knisternde Teil außerordentlich „praktisch“. Ein Wort, von dem man sich als modebwusste:r Jugendlich:er eher distanzieren wollte – vehement. Viele Jahre später können wir es allerdings kaum erwarten, uns genau in solche Pieces zu werfen. Etwas, woran auch die Nachwehen der Pandemie nicht ganz unschuldig sind. Denn seitdem hat sich ein Wandel in der Mode vollzogen, der versucht, Praktikabilität und Design nicht mehr konträr zu denken. Eher zu einem Synonym werden zu lassen.

Bei so einer rasenden Entwicklung sehen sogar die Expert:innen Potential und prognostizieren, dass sich der Trend zu einer Konstante entwickeln wird. „Die technische Outdoor-Bekleidung wurde durch die postpandemische Hinwendung zu einem bewussteren Lebensstil sowie durch den Gorpcore-Trend vorangetrieben und wird sich 2024 wahrscheinlich noch weiter beschleunigen. Wahrscheinlich werden mehr Outdoor-Marken Lifestyle-Kollektionen auf den Markt bringen, während Lifestyle-Marken technische Elemente in ihre Kollektionen einbinden und so die Grenzen zwischen Funktionalität und Stil weiter verwischen“, heißt es im State of Fashion Report 2024.

 

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Start Exploring: Die Macht des modischen Eskapismus

Vielleicht ist es mit Gorpcore so wie mit dem Ugly Sneakers Trend. Er ist uns ans Herz gewachsen. Weil er zeigt, dass Wertschätzung überall liegen kann. Wir manchen Dingen, die wir vielleicht lieblos in die hinterste Ecke des Schranks oder Kellers verbannt haben, doch noch mal hervorholen sollten. Doch dahinter steckt noch viel mehr – eine Art poetische Brücke, die durch die starke Kraft des modischen Brandings bestimmte Gefühle in uns bedient. Denn neben der Ästhetik und dem Schein geht es viel um Gefühle und Sehnsüchte, die sich kollektiv mit Hilfe der Bekleidung befriedigen lassen. Gorpcore, das ist der Wunsch nach Einfachheit. Pragmatismus und die Sehnsucht danach, sich geerdet zu fühlen – in dem Chaos, was um uns tobt, global, aber auch im Chaos der Großstadt.

Gezielt gestreut erwecken diese vermeintlich „schrecklich praktischen, aber oft eher unästhetischen“ Kleidungsstücke den Eindruck, genau diese Freiheit (die mit Natur und dem Draußen sein verbunden wird) liege einen Steinwurf von uns entfernt. Dabei sind wir eigentlich völlig entfremdet davon. Meistens wenig in Kontakt mit unserer Umgebung. Immerfort umgeben von Beton und künstlichen Befriedigungen, die wenig mit der rohen und ungestümen Echtheit der Natur gemein haben. Wie also die Wanderlust besser ausleben als mit einer textilen Stadtflucht? Der bekleidenden Erinnerung daran, dass hinter den Stadtgrenzen eine völlig fremde Welt auf uns wartet. Darauf entdeckt und erforscht zu werden.

Trotzdem würde ich für niemanden auf der Welt freiwillig zelten gehen – und wenn ihr mich dabei erwischen solltet, dann denkt dran, ich mache das nur, um meinen Punkt zu beweisen. Oder um ein paar cute Bilder für den Feed zu schießen…

– Anzeige wegen Markennennung –

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